Herr Kaiser kommt mit dem Laptop

■ Zwanzig Prozent der Jobs in der Versicherungswirtschaft fallen weg

Ausnahmsweise sind Gewerkschafter und Unternehmer einer Meinung: In den kommenden Jahren werden mindestens 20 Prozent der 260.000 Arbeitsplätze in der deutschen Versicherungswirtschaft vernichtet. So will der neue Chef des ehemaligen Gewerkschaftsunternehmens Volksfürsorge („Vofü“), Hans Jäger, bis Ende 1997 rund 1.000 der insgesamt 4.800 Stellen abbauen. HBV- Gewerkschaftssekretär Harold Henke geht davon aus, daß in den „nächsten vier bis fünf Jahren rund 25 Prozent der deutschen Versicherungsangestellten ihren Arbeitsplatz verlieren werden“.

„Schuld“ sind die Versicherungsvertreter, ohnehin nicht gerade die Sympathieträger der Nation. Der Außendienst wird in absehbarer Zeit branchenweit mit Computern und einheitlicher Software ausgestattet sein; die Zeche muß kurioserweise der Innendienst zahlen. Denn was in der Industrie schon selbstverständich ist, löst hier gravierende Änderungen aus.

Die bundesweite Einheitsstrategie der Versicherungen, neben den Banken die Erfolgsbranche der neunziger Jahre, zeigte sich auf einem Kongreß der Technologie- und Innovationsberatung in Hamburg. KollegInnen aus 18 Unternehmen berichteten übereinstimmend von den gleichen „Visionen“ der Konzerne. Vofü-Boß Jäger und der smarte Vorstand der Aachen-Münchener, Wilfried Simons, zeichneten das gleiche Bild: Der moderne Verkäufer wird mit einem PC ausgerüstet sein, den Versicherungsvertrag beim Kunden direkt im Computer erstellen und die Daten per Telefonleitung in den Zentralrechner einspeisen. Der Zentralrechner kann dann die meisten Anträge automatisch überprüfen und bewerten, die Policen ausdrucken und versenden. Der bisherige Innendienst wird in weiten Teilen überflüssig, die „lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ werden arbeitslos; selbstverständlich „sozialverträglich“, aber die Arbeitsplätze sind auf jeden Fall futsch.

„Lean Assurance“ lautet die Losung. Die schlanke Versicherung ist gefragt in dem hochkonzentrierten Wirtschaftszweig. Die vorhandenen Rationalisierungsmöglichkeiten verdeutlicht der Branchen-Primus Allianz: Selbst dessen Außendienst ist erst zur Hälfte mit Computern ausgerüstet. Andere Firmen in dem Wirtschaftszweig mit klangvollen Namen wie „Victoria“, „Nova“ oder „Herold“ arbeiteten bis vor kurzem zum Teil noch völlig ohne EDV. Bereits im Jahr 1994 wurden laut HBV-Experte Henke „rund 5.000 Stellen gestrichen“.

Abgerundet wird das technische Revoluzzertum der Versicherungs-Vordenker durch eine neuartige Informationsstruktur. Endlich soll das „papierlose Büro“ verwirklicht werden; übrigens nicht nur in Versicherungen. Beispiel Deutscher Herold: Die Tochterfirma der Deutschen Bank baut ein „Electronic Mail System“ auf. Eingehende Post wird in dieses EDV- System eingescannt, mit einer Nummer versehen und in den elektronischen Postkorb gesteckt. Von da ab werden die Briefe, Policeanträge und Kundenanfragen per Computer und Bildschirm bearbeitet – im ganzen Konzern.

Schon nach der ersten Ausbaustufe des Electronic Mail Systems meldet der Deutsche Herold bereits 10 bis 18 Prozent schnellere Abläufe. Herold-Organisationschef Reinhard Terrahe rechtfertigt: „Eine deutliche Verbesserung des Kundenservice.“ Letztlich aber beschränkt sich unternehmerische Initiative damit auf die Kostenreduzierung mittels Technikeinsatz. Hermannus Pfeiffer