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Jelzin sagt „njet“, die Armee bombt

■ Luftangriff auf Grosny gemeldet / Kohl telefonierte mit Jelzin / OSZE-Vertreter in Moskau empfangen

Moskau/Bonn (taz) – Rußlands Armee beschießt offenbar ihren Präsidenten rücklings: Nur wenige Stunden nachdem Boris Jelzin das Ende der Bombardierung Grosnys angeordnet hatte, griffen nach Berichten der Nachrichtenagentur AFP aus der tschetschenischen Hauptstadt russische Kampfflugzeuge den Präsidentenpalast an. Ein BBC-Korrespondent vor Ort sprach von widersprüchlichen Berichten über Bombenangriffe. Kampfflugzeuge hätten die Stadt überflogen. Es habe jedenfalls Einschläge von Granaten und Raketen gegeben. Unbestritten ist das Bombardement einer strategisch wichtigen Brücke 20 Kilometer südlich von Grosny. Über sie haben in den letzten Wochen Tausende die Stadt verlassen.

Eine mögliche Erklärung für das Vorgehen der Armee lieferte in Moskau Sergej Schachrai. Die Militärs machten sich, so der Vizeregierungschef, politisch selbständig und bedrohten die Regierung mit ihren Forderungen. Die Armee habe in den vergangenen Jahren „zwei Möglichkeiten entwickelt, ungeliebte Militärführer loszuwerden: Die eine ist die Befehlsverweigerung, die andere ist die, Befehle auf schwachsinnige Weise auszuführen. Beide Methoden werden in Tschetschenien angewandt.“

Getroffen hat die russische Armee aber auch Bundeskanzler Helmut Kohl. Kohl hatte am Mittwoch abend ein „ausführliches“ Telefongespräch mit Jelzin geführt und gestern – vor der Meldung über die neuen Angriffe – erklärt: „Ich begrüße die Anordnung von Präsident Jelzin, die Bombardierung von Grosny einzustellen.“ Ein Telefongespräch Kohls mit Jelzin war wiederholt von der Bonner Opposition gefordert worden. Noch Stunden zuvor hatte Regierungssprecher Vogel festgestellt, der Bundeskanzler werde den Präsidenten in der jetzigen Situation nicht anrufen. Die Erklärung, die Angriffe einzustellen, wird dann den Anstoß für das Telefonat gegeben haben.

Diejenigen, die den Befehl zu den jüngsten Attacken auf Grosny gaben, dürften identisch sein mit jenen „Lügnern und Dreckskerlen“, die Bürgerrechtler Sergej Kowaljow in der Umgebung Jelzins ausgemacht hat. Auf einer völlig überfüllten Pressekonferenz in den Räumen der Tageszeitung Iswestija sagte er, er sei „praktisch sicher“, daß Jelzin „falsche oder ungenaue Informationen“ erhalte. Dies mindere jedoch nicht die Verantwortung des Präsidenten für die tschetschenische Krise, sagte der ehemalige sowjetische Dissident weiter. Er betonte, daß er auf der Bezeichnung „Lügner“ und „Dreckskerle“ bestehe, und bat, sie nicht abzumildern. Kowaljow ist nach dreiwöchigem Aufenthalt in Grosny nach Moskau zurückgekehrt.

Seit Mittwoch abend hatte es eher nach Entspannung ausgesehen: Zunächst hatte Präsidentensprecher Kostikow erklärt, Jelzin sei von der Kritik des Westens nicht unbeeindruckt geblieben. Wegen der wachsenden Opposition auch in Rußland werde die Bombardierung Grosnys eingestellt. Eine Delegation der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE), bestehend aus den Botschaftern Italiens, der Schweiz und Ungarns, wurde gestern von Vize-Außenminister Afanasjewski empfangen. Sie drängten auf die Einhaltung der Menschenrechte in Tschetschenien.

Druck auf Moskau versuchte gestern auch die Europäische Union auszuüben. Der für ihre Außenbeziehungen zuständige Kommissar Hans van den Broek erklärte, der geplante Abschluß eines Wirtschaftsabkommens mit Rußland werde zunächst verschoben. Das sei ein „Zeichen, das nicht mißverstanden werden kann“. Gegen das Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien protestierten vor der russischen Botschaft in Bonn rund 100 Demonstranten. Der russische Schriftsteller Lew Kopelew und Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen forderten dabei die westlichen Regierungen auf, Jelzin zu einem Abzug der Truppen zu bewegen. Der Krieg in Tschetschenien sei keine innerrussische Angelegenheit. Unterdessen haben auch zwei russische Generäle Jelzin aufgerufen, den Krieg in Tschetschenien zu beenden. Vizeverteidigungsminister Boris Gromow: „Die einzig richtige Entscheidung kann nur sein, das Feuer einzustellen und rasch Gespräche zu beginnen.“ Der Kommandant der 14. Russischen Armee in Moldova, General Alexander Lebed, bezeichnete den Krieg als sinnlos. Abgeordnete des Parlaments teilten mit, sie hätten genügend Unterschriften für eine Sondersitzung zu Tschetschenien gesammelt. Bisher hatte sich Duma-Präsident Iwan Rybkow geweigert, eine solche Sitzung einzuberufen. Heute wird der russische Sicherheitsrat in einer Sondersitzung die Situation in Tschetschenien beraten. her

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