Sylvesterrandale: „Da ist ein Bruch aufgetaucht“

■ Interview mit Frank Düvell, Mitglied des Antirassismus-Büros, über das Sylvester-„Scherbengericht“: Die Randale ist eine Antwort auf die strukturellle Gewalt - aber wieviele „Autonome“ sind diesmal lieber zuhause geblieben?

taz: Die Polizei hat in ihrer Pressemitteilung nach Sylvester erklärt: die autonome Szene Bremens hat zugeschlagen. Alle Versuche, ein anderes Sylvester-Fest hinzubekommen, sind nach der verbreiteten Auffassung in der Polizei gescheitert.

Frank Düvell: Vorweg: Der Begriff „autonom“ ist ein Kampfbegriff der bürgerlichen Presse, der überhaupt nicht trifft, was es da an sozialen und politischen Prozessen gibt.

Das Fest machte ja den Anschein, daß es zumindest zum Teil auch ein Polizeifest war. Da standen überall SEK-Beamte in zivil herum, teilweise in Hip-Hop-Montur verkleidet, diese Leute sind zum Teil als ganz gemeine Schläger bekannt - mit denen zusammen kann Feierstimmung nicht aufkommen. Diese Kombination aus ganz viel Polizei und ganz viel Feier war ein Paradoxon und kann nicht aufgehen. Daß das in die Hose gegangen ist, ist kein Wunder.

Die so nicht feiern wollten, sind aber nicht einfach auf eine andere Fete gegangen.

Es steht ja immer noch die Forderung an die staatliche Gewalt: Laßt uns endlich mal in Ruhe. Die Auseinandersetzung der letzten Jahre entstanden, weil auf dem Sielwall gefeiert wurde, daß dann dieses Lagerfeuer angezündet wurde - was an sich nicht mit einer bösen Absicht verbunden war - und dann kam die Polizei und es krachte. Dieses: „Laßt uns doch endlich mal in Ruhe“, ist das ganze Jahr über immer wieder torpediert worden. Versuche von selbstbestimmten Leben, etwa in besetzen Häusern oder im Kulturzentren Buntentor, sind immer wieder sehr schnell kriminalisiert worden, die Aktivisten werden verfolgt - und was übrig bleibt, soll kommerzialisiert werden. Das sollte ja nicht das Fest derer werden, die sonst auf der Sielwallkreuzung ihr Happening machen...

Ich weiß nicht, ob die Stromleitungen auf dem Sielwallkreuz ein Freudenfeuer aushalten würden, wenn das vorher besprochen werden kann - nur die Fensterscheiben sind in den vergangenen Jahren lange vor dem Polizeieinsatz eingeschmissen worden. „Laßt uns unsere Party“ würde dann aber bedeuten: Da müßten einige von den umliegenden Geschäften wegziehen, von Udopea bis zu den Fleischern.

Bei jeder dieser Auseinandersetzungen muß man die Vorgeschichte mitdenken. In diesem Jahr haben wir einen entfesselten Kapitalismus auf uns zukommen sehen, Sozialeinsparungen, Massenentlassungen, der große Lauschangriff, Arbeitsdienste, die offen diskutiert werden - 12 Monate lang steht man dem ausgesprochen ohnmächtig gegenüber. Was eigentlich anderes als das ist eigentlich Gewalt, 360 Tage im Jahr? Wer soziale Gegensätze in dieser Form von oben verschärft, bekommt irgendwann die Rechnung präsentiert.

Sylvester als ein Ventil, an dem Widerstand artikuliert wird gegen strukturelle Gewalt?

Ja, es ist auch eine symbolische Form von Gegengewalt, die ausdrückt: Anders hört ihr ja nicht auf uns. Jetzt zahlen wir es euch heim. Nachdem ihr 360 Tage über uns triumphiert habt, zeigen wir, daß ihr uns nicht völlig im Griff habt - das steckt ja ein Stück weit dahinter.

Durch die diesjährigen Sylvester-Ereignisse ist nun aber die Frage aufgeworfen, ob dieser Zusammenhang noch sichtbar ist, ob der sich noch vermittelt.

Weil vor allem die Schaufenster von kleinen Läden eingeschmissen worden sind?

Genau deshalb, denke ich, widerspricht diese Sylvester-Randale all dem, was eine breite linke politische Szene bisher an Prinzipien gehabt hat. Es hat keinerlei Vermittlung gegeben warum und weshalb das eigentlich stattfindet. Die Ereignisse erklären sich nicht mehr aus sich selbst heraus. Sie erklären sich nicht z.B. aus einer Bewegung gegen Yuppisierung, sage ich mal, gegen soziale Säuberung, gegen rechts, Verarmung, was auch immer - dieser Bewegungszusammenhang ist verloren gegangen. Das bedeutet, daß die Ereignisse auch keine politische Orientierung mehr ausdrücken.

Natürlich hieß es in der Vergangenheit immer: Niemals gegen kleine Leute, niemals gegen kleine Geschäfte, keine Gewalt gegen Personen, niemals die Verbindung zu Bevölkerung abbrechen lassen. Das heißt: Immer erklären, was man da macht.

Wie kommt das? Waren das diesmal andere Leute?

Es drückt aus, daß 30 Jahre linker Kultur und linker Politik dabei sind, den Bach runterzugehen. Das hat auch viel zu tun mit der Repression, dem Verbot von Zeitungen, in denen sowas diskutiert werden kann, mit Demonstrationsverboten. Wenn demokratische Artikulation verhindert wird, wundert es mich nicht, wenn das ganze richtungslos wird und an Kontur verliert.

Das wäre die Verelendung des Protestes.

Ja, ein stückweit. Natürlich kann man der Linken auch viele Fehler vorwerfen, das kommt dazu. Wenn ich mir eine Orientierung wie die der Veganer angucke, oder die abgedrehte Bremer Wagensportliga...

Was?

.. die vergreifen sich an 15 Jahre alten Gurken und unternehmen nicht einmal mehr den Versuch, Autos als Symbol anzugreifen. Die soziale Orientierung ist darin vollkommen verloren gegangen.

Viele Linke sind - wie du selbst - diesmal an Sylvester lieber zuhause geblieben und haben die Straße anderen überlassen?

Mein Eindruck ist, daß sich viele Linke oder Leute, die als Autonome bezeichnet werden, dort gar nicht aufgehalten haben. Es handelt sich um eine Form von Jugendbewegung, die den Zusammenhang zu der bisherigen linken Geschichte, deren Prinzipien und auch deren Moral verloren hat. Das hat mit Repression zu tun, auch mit politischer Entfremdung nach dem Motto: Trau keinem über 30. Da ist ein Bruch aufgetaucht. Es ist nicht so, daß ich das, was da passiert ist, nicht verstehe. Das heißt aber nicht, daß ich nachvollziehen könnte, wie es zu dieser Form nicht mehr vermittelbarer Aktionsformen kommen kann.

Konsequenzen? Gibt es sowas?

Es gibt massiven Diskussionsbedarf. K.W.

P.S.: Am Montag veröffentlichen wir ein Interview mit Armin Stolle, Leiter der gesamtschule Mitte, zu demselben Thema.