■ Wissenschaftler: Kleine Menschen besser für die Umwelt
: Ideal sind 1,50 Meter und 46 Kilo

Amsterdam/New York (taz)

Jedes Kind bekommt es regelrecht eingebleut: „Iß mehr, dann wirst du groß und stark.“ Das Dumme ist, es scheint etwas dran zu sein, an diesem Spruch. Je mehr wir in uns hineinschaufeln, um so größer werden wir. Alle zehn Jahre wird die Weltbevölkerung um eineinhalb Zentimeter länger.

Kein Mensch weiß bislang, wann die Menschheit aufhört mit dem scheinbar unaufhörlichen Längenwachstum. In den USA haben sich Wissenschaftler immerhin darangemacht, das Phänomen zu untersuchen. Sie wollen herausgefunden haben, daß „kurze“ Menschen länger leben und „lange“ Menschen obendrein die Umwelt mehr belasten. Der in San Diego wohnende Wissenschaftler Thomas Samaras schlußfolgert in seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Wahrheit über Ihre Größe“, daß die menschliche Existenz auf diesem Planeten verlängert sowie die Qualität des menschlichen Lebens verbessert werden könnte, wenn die durchschnittliche Größe der Menschen wieder auf 1,50 Meter und das Durchschnittsgewicht auf knapp 50 Kilogramm gesenkt würde. „Unsere Vorfahren hatten das ideale Format“, meint Samaras, „aber in den letzten 75 Jahren sind wir ein ganzes Stück schwerer und auch einen Kopf größer geworden.“ In Kalifornien ist die mittlere Größe um 20 Prozent von 1,50 auf 1,80 Meter gestiegen. „Wenn das die nächsten 75 Jahre noch einmal 20 Prozent sind, brauchen wir 50 Prozent mehr Energie, 73 Millionen Hektar mehr landwirtschaftliche Anbaufläche, und der Ausstoß von Kohlenmonoxid wird gewaltig steigen.“

Samaras ist kein Phantast; er hat die Auswirkungen des Längenwachstums auf Gesundheit und Umwelt 20 Jahre lang untersucht; sein Rapport ist von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht worden.

Der Wissenschaftler selbst ist 1,78 Meter groß. Seiner Meinung nach ist die Körpergröße von Menschen zu Unrecht lange verherrlicht worden. „Eltern sind stolz darauf, wenn die Kinder größer sind als sie selbst. Sie glauben, daß sie damit auch ein ,höheres‘ Ansehen bekommen.“ Das sind die animalischen Instinkte in uns. „Das größte, das stärkste Tier wird der Anführer des Rudels.“ Größere Menschen gehören obendrein traditionell zu den besser ausgebildeten; die US-Untersuchung hat ergeben, daß Firmen längere Bewerber bevorzugen. Das hochaufgeschossene Personal bekommt auch noch die besseren Löhne.

Samaras will, daß die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber kleinen Menschen verschwinden. „Menschen, Tiere, Firmen und Maschinen – überall ist es doch das gleiche Bild: Je größer und höher der Energieverbrauch, um so schneller geht etwas kaputt. Der ideale Mensch ist 1,50 Meter groß und wiegt 46 Kilogramm.“ Ein solcher Mensch hat etwa 60 Billionen Zellen – ein Mann von 1,80 Meter und 86 Kilogramm dagen 100 Billionen Zellen. Mit jeder Zelle kann etwas schiefgehen. Beispiel Krebs: „Je mehr Zellen man hat, um so eher kann man Krebs bekommen.“

Das belegt er mit Zahlen. Frauen über 1,73 Meter gehen einer Untersuchung des National Cancer Institute (USA) eine 50 bis 80 Prozent größere Gefahr ein, Brustkrebs zu bekommen. Das gilt auch für Knochenbrüche und Gelenkschmerzen. Das müsse mit dem Gewicht zusammenhängen.

Dem Wissenschaftler lieferte eine Untersuchung unter Basketballspielern ein überraschendes Ergebnis. Die mittlere Lebensdauer von 102 Spielern über 1,92 Meter betrug lediglich 50,5 Jahre. Hingegen lebten 54 Spieler unter 1,80 Meter durchschnittlich 17 Jahre länger. Er will damit keineswegs sagen, daß lange Menschen nicht alt werden können. „Die Lebenserwartung von jemandem, der lang ist, aber sehr gesund und schlank, ist besser als die von jemandem, der schön kurz, aber viel zu dick ist.“ Kurze Menschen sind meistens dicker, weil sie eine relativ größere Darmoberfläche haben als lange Menschen und daher die Nahrungsmittel besser aufnehmen können. Das ist auch einer der Gründe, warum die WHO offene Ohren für die Forderung von Samaras hat, daß die Weltbevölkerung kleiner sein sollte.

Es gibt kaum Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen. Die in der Französischen Revolution eingeführte Verkürzung von Menschen um einen Kopf mittels einer scharfen Maschine dürfte ausfallen. Samaras sagt, daß er eine Menschenverkleinerungsmaschine wie in dem US-Film „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“ bevorzugt. Aber auch das ist wohl nicht ganz realistisch, weshalb er vorschlägt, die heranwachsenden Kinder einer besonderen Diät zu unterziehen: „Weniger Kalorien, weniger Fett, weniger Zuckerprodukte und vor allem nicht jeden Tag Fleisch, weniger Süßigkeiten und weniger zuckerhaltige Getränke.“ Schließlich geht nicht nur jedes Pfund, sondern auch jeder Zentimeter durch den Mund. Falk Madeja