Ethnische Säuberungen bei Nacht und Nebel

■ Hunderttausende KenianerInnen wurden durch Vertreibungsaktionen zu Flüchtlingen gemacht / Nun läßt Kenias Regierung brutal ihre Lager auflösen

Berlin (taz) – Die Schläger kamen mitten in der Nacht. Mit Trillerpfeifen weckten sie die 700 Menschen, die im Kirigiti-Stadion in Kiambu am Nordrand der kenianischen Hauptstadt Nairobi schliefen. Gewaltsam schleppten sie sie in bereitgestellte Lastwagen; wer sich wehrte, wurde verprügelt; im Chaos wurden Mütter von ihren Kindern getrennt. Die improvisierten Lagerplätze im Stadion wurden dem Erdboden gleichgemacht. Dann fuhren die Lastwagen davon. Im Morgengrauen wurden die Insassen hinausgeworfen – mittellos, in entlegenen Dörfern und oft ohne eine Ahnung, wo sich ihre Verwandten befanden oder was mit ihrem zurückgelassenen Eigentum geschehen war.

Die Schläger waren kenianische Polizisten, und was sie da in der Nacht zum vergangenen Mittwoch taten, ist Regierungspolitik. Denn die Insassen des Kirigiti-Stadions lebten nicht aus freien Stücken dort. Das Stadion war vielmehr eine der vielen Durchgangsstationen für die Opfer der ethnischen Vertreibungen, die sich seit Jahren in der kenianischen Provinz Rift Valley abspielen – mit, so vermuten fast alle Beobachter außerhalb der Regierung, Billigung des Staates. Regelrechte Brandschatzungen durch Angehörige des Kalenjin-Volkes, zu dem auch Kenias Präsident Daniel Arap Moi gehört, gegen Angehörige der Kikuyu, die eher der Opposition zuneigen, forderten nach Angaben des nationalen Kirchenrats in Kenia allein zwischen Ende 1991 und Frühjahr 1993 800 Tote und bis zu 130.000 Vertriebene. Die Vermutung der Kirche: Die Kalenjin, ermuntert von der kenianischen Regierungspartei KANU, wollten das fruchtbare Rift Valley zu einer „Kikuyu- freien“ Zone machen. Und Moi wollte mit dem Schüren solcher „Stammeskonflikte“ beweisen, daß Demokratisierung zum Bürgerkrieg führe. Inzwischen haben nach unabhängigen Schätzungen bis zu 250.000 Menschen im Rift Valley ihre Heimat verloren.

Die Nacht-und-Nebel-Aktion in Kiambu ist die jüngste Wendung in diesem Konflikt. Die 700 Deportierten gehören zu einer Gruppe von nach UNO-Angaben 7.000 Menschen, die 1994 aus ihrer Heimat Enoosupukia vertrieben wurden und sich im westkenianischen Maela sammelten. Präsident Moi ordnete im September die „Neuansiedlung“ dieser Flüchtlinge bis zum Jahresende an. Das hieß: Einigen Vertriebenen sollte theoretisch neues Land zugewiesen werden – natürlich nicht ihr früheres Eigentum.

Wer von den Behörden nicht als ehemaliger Bewohner Enoosupukias anerkannt wurde – und dazu gehörten solche, denen bei der Vertreibung der Personalausweis abgenommen worden war, oder die die amtlichen Prüfer nicht mochten – konnte jede Hoffnung auf ein neues Leben begraben.

Selbst nach den nicht unbedingt verläßlichen amtlichen Angaben wurden 3.000 der 7.000 Flüchtlinge in Maela von den Prüfern abgewiesen. Ihre Lager wurden dann in der Nacht zum Heiligen Abend zerstört, die meisten Bewohner auf Lastwagen weggekarrt – zum Teil ins Kirigiti-Stadion. Andere wurden einfach auf freiem Feld zurückgelassen.

Die weihnachtliche Vertreibung nannte ein Oppositionspolitiker „das schlimmste Weihnachtsgeschenk an die Unterdrückten“. Die US-Botschaft, die für die Umsiedlung der Vertriebenen 3,5 Millionen Dollar bereitstellen wollte, beklagte „einen undurchsichtigen Vorgang, der die Menschenrechte einfacher Bürger verletzt“. Das Entwicklungsprogramm der UNO (UNDP), das die Flüchtlinge in Maela mit Wasser versorgt hatte, äußerte schriftlichen Protest. Als die Regierung behauptete, Flüchtlinge aus Maela seien auf eine Farm namens Moindani umgesiedelt worden, forderte das UNDP eine Liste der Neuangesiedelten an – vergeblich.

Die Regierung blieb ungerührt. Präsident Moi erklärte, die Stadioninsassen von Kiambu seien freiwillig dorthin gezogen. Der Provinzkommissar für Central Province, Victor Musoga, nannte die Vertriebenen ein „öffentliches Ärgernis“. Und die gewaltsamen Umsiedlungen gingen auch nach Weihnachten weiter: 118 Familien, die in der Nähe des westkenianischen Eldoret auf Kirchengelände kampierten, bekamen von den Lokalbehörden am 28. Dezember ein Sieben-Tage-Ultimatum, um zu verschwinden. Ihre Anwesenheit, sagte Distriktoffizier Daniel Lotoai, diene dazu, „den Namen der Regierung zu beschmutzen“. Obwohl Lokalpolitiker und Kirchengrößen sich mit den nach Kiambi Verschleppten solidarisierten, wurden weder UNDP-Beobachter noch Angehörige mit Lebensmitteln von der Polizei in das Kirigiti- Stadion durchgelassen, das laut der Zeitung Standard einem „Flüchtlingslager voller Kriegsopfer“ ähnelte. Da das Lager immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, ordnete Präsident Moi schließlich seine Auflösung an. Die ist nun erfolgt – aber das Problem ist nicht gelöst.

Denn die Politik der Regierung ist langfristig angelegt: Der Oppositionelle Njenga Mungai, Abgeordneter für die Stadt Molo, verdächtigt die Regierung, gewaltsam erreichen zu wollen, daß das Rift Valley, die Kornkammer Kenias, bis zu den Wahlen von 1997 fest in Händen loyaler Regierungsanhänger ist. Und die Vertriebenen, so hofft die Regierung offenbar, werden im Heer land- und arbeitsloser Kenianer untergehen. Solange sie als Flüchtlinge sichtbar sind, sind sie lebende Zeugen der Säuberungspolitik. Aber die Vertriebenen wollen nicht unsichtbar werden: Die ersten der 700 Verschleppten aus Kiambu haben sich bereits bei Priestern außerhalb Nairobis wieder versammelt. „Wenn Kenianer in bestimmten Gebieten nicht leben können“, sagt der Erzbischof von Kisumu, Zacchaeus Okoth, „nützt es gar nichts, daß die Regierung behauptet, für Frieden, Liebe und Einheit zu sein – weil niemand frei ist.“ Dominic Johnson