„Keine Frage der Blutsherkunft“

■ Michel Friedman vom Zentralrat der Juden, der kürzlich in den CDU-Bundesvorstand gewählt wurde, will eine Reform des Einbürgerungs- und Staatsbürgerschaftsrechts

taz: Herr Friedman, die FDP wirft Ihrer Partei, der CDU, bei der Frage der Einbürgerung von Ausländern und der doppelten Staatsbürgerschaft Richtungslosigkeit vor. Können Sie das unterschreiben?

Michel Friedman: Ich halte eine solche Polarisierung bei einem so wichtigen Thema, das den breiten Konsens innerhalb der Parteien, aber vor allem in der Bevölkerung, braucht, für kontraproduktiv. Es geht darum, einen Ansatz zu finden, der soweit wie möglich Integration, Vielfalt und Menschlichkeit in einer Gesellschaft umsetzt, die – Gott sei Dank – mittlerweile aus vielen, vielen Ursprungsnationen zusammengesetzt ist. Es gibt in allen Parteien unterschiedliche Ansätze und Lösungsvorschläge. Ich persönlich stehe für ein Lösungsmodell, das die Wurzel anpackt.

Das bedeutet konkret?

Ein Modell, das bereits verfassungsrechtlich und damit auch ethisch deutlich macht, daß Staatsbürgerschaft sich nicht wie bisher über die Blutsherkunft zu definieren hat, sondern qua Geburt vergeben wird, wenn die Eltern und das Kind in der Bundesrepublik leben. Das Modell bedeutet zweitens, daß daneben ein Einbürgerungsgesetz formuliert wird, das für die Erlangung der Staatsbürgerschaft kürzere Fristen als bisher vorsieht. Der Anspruch auf Einbürgerung muß als Anspruch auch gesetzlich fixiert sein, damit die Verwaltung keinen Ermessensspielraum mehr hat, ob es dem Antragsteller den deutschen Paß nun geben will oder nicht. Derjenige, der die Voraussetzungen erfüllt, hat – wenn er sie denn will – die Staatsbürgerschaft auch zu bekommen. Wir müssen dieses Geben-und-nehmen-Prinzip auflösen, denn die Staatsbürgerschaft gehört niemandem per se, sondern all denen, die die Voraussetzungen dafür erfüllen. Und drittens brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, das außerhalb der EG regelt, wie Ausländer, die nach Deutschland kommen – und wir reden bei all dem von Menschen, die legal und ordnungsgemäß hier leben –, zu behandeln sind. So. Und dann gibt es da noch den relativ unwichtigen Annex, der – wie oft bei Verdrängungen – zum Kernpunkt der Diskussion gemacht wird: die sogenannte doppelte Statsbürgerschaft. Die berührt die wenigsten, und vor allem die wenigsten Konfliktfälle, wirklich. Doppelte Staatsbürgerschaft ist heute schon eine Selbstverständlichkeit für Menschen, die nachweisen, daß ihr Herkunftsland sie nicht aus der Staatsbürgerschaft entläßt.

Aber gerade in den wichtigen Punkten sind sich die Regierungsparteien herzlich uneinig, und auch innerhalb der CDU geht alles munter durcheinander. Im Koalitionspapier steht ein anderer Vorschlag als der, den Sie machen. Sie machen einen anderen als Ihr Parteikollege Johannes Gerster, und CDU-Mann Rupert Scholz will etwas anderes, als Herr Gerster will.

Die Europäisierung von Staatsbürgerschaft, die Anpassung an neue Realitäten via Gesetzesvorlage und der Versuch, neue tolerante Impulse zu setzen, sind so essentielle Fragen, daß ich es nur gut finde, wenn es in den einzelnen Parteien unterschiedliche Ansätze gibt. Ich finde es wichtig und richtig, daß wir mit Diskussionen erstmal eine Dymanik in Gang setzen.

Aber diskutiert wird das seit Jahren!

Man darf so essentielle Dinge nicht unter Zeitdruck stellen, man darf sie aber auch nicht verlabern lassen. Ich denke, daß die nächsten Monate in Ruhe und in Toleranz, ohne vorzeitige Profilierungsbewertungen des anderen diskutiert werden sollten und dann in der Tat eine Entscheidung kommen sollte – die dann wahrscheinlich sehr bald wieder dynamisiert werden muß. Warten wir doch ab, ob Dinge, die bisher gegolten haben, sich nicht dynamisch entwickeln können.

Eine politische Diskussion kann auch zum wohlkalkulierten Spiel auf Zeit werden. Irgendwann muß man auch entscheiden. Und in dem Koalitionspapier zwischen CDU/CSU und FDP steht ja eine Entscheidung, nur stimmt die mit Ihren Vorstellungen und denen vieler in der FDP nicht überein.

In der Frage von essentiellen Belangen von Menschen ist immer Bedarf an Nachdenken, an Anpassen, an Verbessern. Ich kann nur sagen, wie ich glaube, daß man so etwas zu lösen hätte. Ich habe keine Angst davor, daß junge Menschen, die hier geboren sind, die die deutsche Sprache in deutschen Schulen gelernt haben, die die deutsche Sozialisation hinter sich gebracht haben – was auch immer das bedeutet –, daß diese jungen Menschen mit 18 einen Anspruch auf die deutsche Statsbürgerschaft haben. Und ich würde mir wünschen, daß wir da gelassener und angstloser zu diesem Thema reden würden, denn letztendlich setzen diese 18jährigen ihr Leben ja – hoffentlich – hier fort und sind ein Teil unserer Gesellschaft. Also: Laßt sie den deutschen Paß haben. Das bringt uns gesamtgesellschaftlich weiter als die umgekehrte Version.

Ihre Version lautet?

Mein Selbstverständnis ist das eines modernen, eines offenen Gemeinwesens, das die Vielfalt als Herausforderung und Bereicherung, als Chance und nicht als Bedrohung begreift. Und das spiegelt sich letztendlich darin wider, wie souverän eine Gesellschaft die Rechte der Staatsbürgerschaft den Menschen, die in ihrer Gemeinschaft leben, vermittelt.

Wieviel dieser Souveränität sehen Sie in der CDU?

Es gilt Ängste abzubauen – nicht nur in der CDU, sondern in allen Parteien und vor allem in unserer Gesellschaft. Es gilt deutlicher zu machen, daß ein Staat mit dieser Selbstverständlichkeit umgehen muß. Ich komme aus Frankreich, ich bin dort geboren. Dort ist das, worüber wir reden, überhaupt kein Thema. Wer in Frankreich geboren ist, ist französischer Staatsbürger. Ich bin ein eingebürgerter Deutscher, und ich erinnere mich sehr gut daran, wie viele Formulare ich ausfüllen mußte – wie ich mir als Bittsteller in einem Prüfungsverfahren vorgekommen bin. Ich denke nicht, daß das ein Erfahrungsbild sein sollte für jemanden, der hier aufgewachsen ist. Im Gegenteil, man sollte dieses auch subjektiv emotionale Gefühl vermitteln: Es ist gut, daß du einer unter uns werden möchtest.

Sehen Sie Chancen, daß Ihre Vorstellungen in der Bonner Koalition mehrheitsfähig werden könnten?

Ich äußere meine persönliche Meinung zu diesen Dingen, die momentan mit Sicherheit nicht die Mehrheitsmeinung der Fraktion darstellt. Aber ich denke, das wird weder die Fraktion erschüttern noch mich schrecken. Alles, was in die Richtung läuft, die wir gerade diskutiert haben, begrüße ich. Ich bin bereit und guter Hoffnung, diesen Prozeß auch persönlich fortzusetzen und fortzuprägen. Wenn man den Weg verstärken kann in die Richtung, an die man glaubt, dann ist das ein kleines Stück Erfolg, für das es sich lohnt zu kämpfen. Interview: Vera Gaserow