Und die „Schrei-Frau“?

■ Trübe Stimmung im Weidedamm / Längst nicht alle wissen, wohin sie ziehen

„Komm schnell rein“, sagt Cornelia und zieht die Tür ihres Bauwagens zu. Die Fenster sind noch dick bereift, in dem alten Herd kann man kein großes Feuer machen. Weiter entfernt ist Maschinengrummeln zu hören. Eigentlich wollten die ökologischen SiedlerInnen des „Vereins Grüner Weidedamm“ schon im Januar nach Lesum umziehen. Aber viele Wagen sind noch nicht fertig: Beim einen sind die Reifen nicht in Ordnung, die andere hat noch keinen Anschluß für eine Zugmaschine. Außerdem kann man bei diesem Frost keine Pflanzen ausgraben, um sie mitzunehmen, sagt Cornelia.

Es klopft: Nachbar Jens bringt eine Gasflasche. Er hat auch einen Ofen für Cornelia gefunden, in einem verlassenen Kaisenhaus. Er bekommt erstmal einen Limonentee eingeschenkt. Plötzlich ist das Maschinengeräusch ganz nah, ein krachendes Mahlen. Jens schaut nach: „Die sind mit dem Schredder in der Karl-Thomer-Allee zugange!“ Dort sägen Arbeiter die Bäume und Büsche am Wegrand ab – für eine Baustraße quer durchs Parzellengebiet.

Jens, der Soziologiestudent, und Cornelia, die als Hauspflegerin jobbt, werden nach Lesum ziehen. Doch längst nicht alle derzeitigen BewohnerInnen des Weidedamms wissen, wo sie wohnen sollen, wenn hier Eigentumswohnungen entstehen. Da gibt es zwar den Beratungscontainer der Gewoba, „aber die können dir auch keinen anderen Stellplatz für deinen Wagen anbieten, und du kannst auch nicht zu fünft hingehen und sagen, daß wir zusammenwohnen wollen“, sagt Cornelia. Sobald aber ein Alkoholiker alleine wohne, gehe er unter. „Für die Spaßparzellisten war das hier doch prima: die konnten ihre Parties machen – auch wenn wir denen manchmal auf's Dach gestiegen sind, weil sie nachts noch laute Musik hatten.“

Manche der anderen ParzellenbewohnerInnen wollen erstmal mit dem Wagen über den Winter nach Spanien fahren und hinterher weitersehen. Aber so jemand wie die „Schreifrau“? Jens: „Die zog hier immer rum und schrie Leute an, die's gar nicht gibt.“ In einem normalen Wohngebiet könnte die nicht wohnen, da würde gleich die Polizei gerufen.

Eine Nachbarin kommt das Treppchen hochkeucht: „Die sind bei Ralf und hacken die Bäume ab!“ Und Ralf sei nicht da. „Schrecklich“, sagt Cornelia. Ja, und dann gibt es zum Beispiel noch den „Cowboy“, der sommers von Garten zu Garten ging und Zigaretten und Kaffee schnorrte und die Leute „vollaberte“. Den litt man auch. Der habe noch nichts. „Den nehmen wir eben mit“, sagt die Nachbarin. „Nee“, stöhnt Cornelia.

Der Umzug wird schon schwierig genug! Was sollen denn die machen, die keinen Bauwagen haben, die sich auf dem gefrorenen Friedhof eine Hütte neu bauen müssen? Die Nachbarin zum Beispiel hat keinen Wagen. „Wenn die unsere Hütte abreißen, müssen wir total rumorganisieren, um Baumaterial zu bekommen.“ Die eigene Hütte selbst abreißen, bevor die Räumtrups kommen, will sie aber auch nicht. Das kann Jens gut verstehen. „Ich krieg das ja noch nicht mal hin, endlich die Gehwegplatten einzusammeln, damit wir in Lesum Wege legen können, da kommen mir die Tränen.“ In der aufsteigenden Wärme breitet sich eine trübe Stimmung aus. Was das alles kostet! Die Pacht 150 Mark, dann bestimmt nochmal soviel für Müllabfuhr, Wasser, Grundsteuer ... Ganz still ist es auf einmal, nur die Scheite knacken, und die Abholzer machen Mittagspause.

Ein Sträßchen weiter hausen Schrotter und seine Freunde, die „Spaßparzellisten“. Die sammeln gerade ganz pragmatisch zersägte Baumstämme ein – Brennmaterial für das ausgekühlte Kaisenhäuschen in der Karl-Thomer-Allee. Die Hunde toben um die Männer, schliddern auf den gefrorenen Lachen im Garten. Kaum ein paar Grad über Null ist es in dem Zimmer im Obergeschoß. Dort hocken auf einer Couchgarnitur, der Fensterbank und einem umgedrehten Kochtopf vier Männer und eine Frau, später kommen noch zwei Punks reingestolpert. „Habt Ihr n' Bier?“ Schrotter entschuldigt sich für die Unordnung: „Wir sind immer auf der Flucht, von einem Haus ins nächste, da kannste alles immer nur provisorisch machen.“

Die „Spaßparzellisten“ unterscheiden sich von der „Bürgerinitiative Weidedamm“ nach eigener Einschätzung so: „Unsere Art zu leben ist ein bißchen grober, direkter. Und die trinken mehr Tee. Außerdem machen wir alles ohne Plan: gemeinsam kochen, Wasser holen, abwaschen.“

Auch in dieser kalten Bude wird über die Zukunft sinniert. „Wir haben Muffe, daß die BI ihren Platz kriegt und wir werden geräumt“, sagt der 40jährige Schrotter. “So Leute wie die in der BI, die gut reden können, da sind ja auch Studierte bei, die kriegen eine Chance. Aber wir?“ Schrotter und seine rund 20 FreundInnen wollen jetzt auch einen Ersatzplatz, schließlich habe man Gänse und Karnickel und wolle Kartoffeln anbauen. Sie liebäugeln mit einem 5.500-Quadrameter-Gelände am Hochschulring. Das wäre doch auch für's Sozialamt billiger, meint Udo (33), als wenn sie ihm 500 Mark im Monat für eine Wohnung zahlen müßten! Er nimmt noch einen Schluck.

Draußen haben die Gartenarbeiter ihre Mittagspause beendet und zersägen wieder Bäume Nach dem Schreddern sind nur noch grüne und weiße Schnitzel übrig. i Christine Holch