Nichtgeschwundenes Übelnehmpotential

■ Interview mit dem Flann-O'Brien-Übersetzer Harry Rowohlt zu einem in einem amerikanischen Archiv zufällig wiederentdeckten Stück des Dubliner Schriftstellers

taz: Flann O'Briens Theaterstück „Rhapsody in Stephen's Green“ wurde 1943 nach sechs Tagen im Dubliner Gaiety-Theater abgesetzt, weil darin Katholiken, nordirische Protestanten, Beamte und Menschen aus Cork gleichermaßen beleidigt wurden. Seitdem galt das Stück als verschollen. Jetzt hat ein US-Akademiker das Manuskript durch Zufall in den Archiven einer Universität in Illinois wiederentdeckt. Hat der Fund bei dir hemmungslose Begeisterung ausgelöst?

Harry Rowohlt: Für die Gesamtausgabe ist es schön, daß es jetzt vorliegt, aber sonst... Es gelingt einem nicht, das Stück auf einmal durchzulesen. Das sagt doch eigentlich alles darüber. Das ist, als wenn dir beim Lesen der Gedanke käme: Stell dir vor, es würde etwas Neues von Flann O'Brien auftauchen! Und dann fällt dir ein: Genau das ist ja der Fall, das ist ja von Flann O'Brien. Adolf Glaßbrenner hat solch eine Szene beschrieben. Als der Eckensteher Nante mit seiner Flasche Kümmel namens Karline an der Ecke steht und trinkt, überlegt er sich: Det schmeckt, wie wenn eener Kümmel trinkt und det schmeckt ihm. Glaßbrenner und Heinrich Mann haben übrigens am gleichen Tag Geburtstag wie ich.

Zurück zum „Drinking Man's Joyce“. Du hast seine Hauptwerke ins Deutsche übertragen. Lohnt es sich, das Stück trotz aller Einschränkungen zu übersetzen?

Wir sind ja Kontinentaleuropäer. O'Briens Stück ist eine freie Adaption des „Insektenstücks“ („Poznámky k Zivotu hmyzu“) von Josef und Karel Čapek aus dem Jahr 1921. Das Original liegt uns wohl näher. Das richtete sich damals gegen Henry Fords Fließbandwelt. Außerdem treten darin mondänere Tiere auf, wie zum Beispiel Schmetterlinge. Das ist auch etwas fürs Auge. Das ist so ähnlich wie mit Hamburg-Eppendorf. Früher gab es hier viele Kneipen, und im Buchladen war immer fünfmal Edition Suhrkamp zur Fortsetzung vorrätig. Heute gibt es nur noch Boutiquen, und wenn man einen Band der Edition Suhrkamp haben will, muß er bestellt werden.

Abgesehen davon – was passiert in O'Briens Stück eigentlich?

Im ersten Akt geht es um gemeine Bienen, im zweiten treten geizige Käfer, habgierige Enten und blöde Grillen mit Cork-Akzent auf. Der dritte Akt handelt von orangenen Ameisen mit Belfaster Akzent. Sie sind arbeitswütig, und ihr Haß auf eine Kolonie grüner Ameisen treibt sie schließlich in einen selbstmörderischen Krieg gegen die blauen Ameisen.

Insofern ist das Stück ja hochaktuell, was Nordirland betrifft: protestantische Orangeisten-Orden, „grüne“ Nationalisten und die britische Armee.

Der Herausgeber Robert Tracy sagt, das Beste an dem Stück seien die verschiedenen Akzente, die O'Brien wiedergegeben hat. Das glaube ich ihm gerne. Tracy lobt auch die prima Dialoge, aber das reicht eben nicht zum Dramatiker.

Als O'Briens Stück damals mit einer Besetzung von 150 SchauspielerInnen aufgeführt wurde, verlangte der „Catholic Standard“ vom Direktor der katholischen Pfadfinder, seinen Jungs – sie spielten die Ameisen und Hühner – die Teilnahme zu untersagen. Würde das Stück auch heute noch Katholiken in Aufruhr versetzen?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich war noch nie Christ, geschweige denn katholisch. Aber ich nehme an, daß das Übelnehmpotential nicht geschwunden ist. So, und jetzt muß ich zu meinem Stammtisch. Die CDU wollte ja die Frauenquote einführen und hat das verschämt „Quorum“ genannt. Bei meinem Stammtisch bin ich das Männerquorum, der Rest sind bösmäulige und versoffene Frauen. Komm doch auch mal vorbei. Es ist genug für alle da. Das Gespräch führte

Ralf Sotscheck