■ Der Waffenstillstand in Bosnien ist noch nicht der Friede
: „Ich rechne mit Druck auf Karadžić“

Der aus der zentralbosnischen Stadt Kiseljak stammende Ivo Komšić ist bosnisch-kroatischer Politiker, Mitglied des von Izetbegović angeführten siebenköpfigen Präsidiums Bosnien-Herzegowinas und zugleich Professor an der Universität Sarajevo.

taz: Nach dem Waffenstillstandsabkommen soll die bosnische Armee sich von dem Berg Igman zurückziehen und den Schutz dieser Straße, den einzigen freien Zugang nach Sarajevo, den UNO- Truppen überlassen. Kann die bosnische Armee überhaupt diese Bedingung erfüllen?

Ivo Komšić: Da ich jetzt nicht in Sarajevo bin, kenne ich die Bedingungen für den Rückzug nicht genau. Bisher war unsere Position in dieser Frage fest. Wir wollten uns nicht zurückziehen.

Nach dem Waffenstillstandsabkommen sollen UNO-Truppen die Demarkationslinien sichern und sich zwischen die Kriegsparteien stellen. Werden damit nicht die militärischen Erfolge der serbischen Seite abgesichert, ähnlich wie dies in der serbisch besetzten kroatischen Krajina passiert ist?

Ja, das ist auch der Grund, weshalb man das von unserer Seite abgelehnt hat. Die jetzige Regelung läuft jedoch darauf hinaus, daß Unprofor-Truppen lediglich an einigen Stellen die Fronten kontrollieren werden. Ich denke, eine dieser Stellen könnte der Berg Igman sein, auch im zentralbosnischen Vares und in Bihać könnten UNO- Truppen zwischen den Linien stationiert werden. Doch der Waffenstillstand ist für vier Monate abgeschlossen, es wird also dabei nicht bleiben.

Was könnte denn die serbische Seite bewogen haben, dem Waffenstillstand zuzustimmen?

Wahrscheinlich ist der Winter auch für die andere Seite ein Hinderungsgrund, mit der Kampftätigkeit fortzufahren. Zudem wird auch Karadžić die Information bekommen haben, daß es zu einer Veränderung der Weltpolitik kommen wird. Ich denke, daß dies mit der Veränderung in der Zusammensetzung des Kongresses in den USA zu tun hat.

War das der Grund, weshalb die bosnische Regierung den Waffenstillstand akzeptiert hat?

Sicherlich, die vier Monate geben der Welt die Möglichkeit, Druck auf Karadžić auszuüben. Das Wichtigste für uns aber ist, über den Winter zu kommen.

Rechnen Sie mit einer Aufhebung des Waffenembargos seitens der USA?

Eher mit verstärktem pschologischem Druck auf Karadžić.

Die bosnische Regierung ist eigentlich gezwungen, auch militärisch Änderungen herbeizuführen. Fürchten Sie eine Wiederholung des Spiels vom letzten Herbst, als die bosnische Seite der Kriegstreiberei beschuldigt wurde und gefordert wurde, Druck auf sie auszuüben?

Welcher Druck könnte denn auf uns ausgeübt werden?

Aufhebung des Wirtschaftsembargos gegenüber Serbien zum Beispiel.

In Wirklichkeit ist Serbien auch bisher keinem Embargo, auch dem Waffenembargo nicht, unterlegen. Karadžić hat vor zwei Monaten moderne sowjetische Flugabwehrraketen erhalten.

Es ist zudem keineswegs ausgemacht, daß unsere Armee Karadžić angreifen wird. Auch nach dem Ablauf des Waffenstillstandsabkommens muß die internationale Kontaktgruppe weiterhin auf die Erfüllung ihres Plans drängen. Sie ist gezwungen, einige Schritte in diese Richtung zu tun.

Sind Sie da so sicher? Was, wenn weitere Abstriche vom ursprünglichen Plan gemacht werden?

Die Kontaktgruppe wird auf keinen Fall ihren Plan ändern.

Wenn mit der Gründung der bosnischen Föderation zwischen Kroaten und Bosniaken die Möglichkeit einer Konföderation eröffnet wurde, dann könnte parallel auch den bosnischen Serben zugestanden werden, mit Serbien in eine Konföderation einzutreten. Rechnen Sie damit?

Der Vertrag ist in Washington ausgehandelt worden, er bedeutet eine Konföderation Kroatiens mit einer bosnischen Föderation, keineswegs jedoch die Teilung Bosnien-Herzegowinas.

Sie beharren also darauf, daß Bosnien-Herzegowina ein Gesamtstaat bleiben soll. Wäre es dann nicht möglich, eine Konföderation des Gesamtstaates mit Serbien einzugehen, parallel zu der Konföderation mit Kroatien?

Das ist unmöglich, weil die serbische Seite in Bosnien-Herzegowina und vorher in Kroatien einen Aggressionskrieg geführt hat.

Sie können doch nicht ganz wegwischen, daß es diese Option gibt. Eine bosnische Föderation könnte mit beiden Nachbarstaaten eine Konföderation eingehen; diese Perspektive eines dritten Jugoslawien wird doch schon unter Diplomaten diskutiert.

Es interessiert uns nicht, was ausländische Diplomaten diesbezüglich diskutieren. Wir werden über unsere Zukunft selbst entscheiden und nicht die ausländischen Diplomaten. Unter Umständen kann der Krieg in Bosnien noch zwanzig Jahre andauern.

Wie schnell der Krieg beendet werden könnte, zeigt der seit März letzten Jahres anhaltende Friede mit der kroatisch-herzegowinischen Seite. In der kroatisch-bosnischen Föderation gibt es aber nach wie vor Irritationen. So hat der Präsident der Föderation, der bosnische Kroate Kresimir Zubak, das neueste Waffenstillstandsabkommen mit der serbischen Seite in seiner Eigenschaft als Präsident des eigentlich auf dem Papier schon aufgelösten Staates Herceg- Bosna unterschrieben.

In der Tat ist dieser Vorgang problematisch zu betrachten. Zubak hätte überhaupt nicht unterschreiben sollen, denn der Waffenstillstand war ja schon in gemeinsamem Einvernehmen unterschrieben worden. Anscheinend war es ihm aber wichtiger, zu zeigen, daß es ein Herceg-Bosna noch gibt. Es ist wahrscheinlich kein persönliches Problem, Herr Zubak ist ein zuverlässiger Partner, man darf jedoch nicht vergessen, daß es noch nationalistische Extremisten in der Führung der Westherzegowina gibt, und die wollen zeigen, daß Herceg-Bosna weiterhin besteht. Zubak ist von dieser Seite her unter einen gewissen Druck geraten.

Das Verhältnis von Herceg- Bosna und der bosnischen Regierung ist also nicht geklärt?

Im Washingtoner Vertrag wurde bestimmt, daß Herceg- Bosna so lange bestehen bleibt, bis die Föderation Gestalt angenommen hat. Dies jedoch bedeutet einen gewissen Widerspruch, denn dies gibt die Möglichkeit, den Aufbau der Föderation zu blockieren. Im Augenblick besteht die Administration von Herceg-Bosna weiter. Unverständlich ist es jedoch, wenn diese Struktur dazu benützt wird, eigene paramilitärische Einheiten zu stärken. Aus meiner Sicht gibt es jedoch für beide Seiten keine Alternative zu der kroatisch-bosniakischen Föderation. Interview: Erich Rathfelder und Thomas Schmid