"Aus dem Telefonbuch"

■ Zweifelhafte Millionengeschäfte bei Rückübertragung ehemaliger DDR-Grundstücke: In Berlin nur im Einzelfall

Hinter den Rechtsstreitigkeiten um ehemalige DDR-Grundstücke in Ostberlin hat der CDU-Abgeordnete Andreas Gram das „organisierte Verbrechen“ ausgemacht. Briefkastenfirmen, die offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg die Rückübertragung von Grundstücken mit Klagen blockierten, um für eine gütliche Einigung dem tatsächlichen Besitzer Millionenbeträge abzuhandeln, machen sich des Verdachts großangelegter Betrügereien schuldig, sagte gestern Gram. Der Politiker erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt.

Gram habe eine Nase für publikumswirksame Aktionen, konterte gestern der Leiter des Landesamtes für offene Vermögensfragen, Hugo Holzinger. Denn die Schweizer Briefkastenfirma R., die allein in Berlin 1.400 Anträge auf Rückübertragung gestellt hat, ohne in einem einzigen Fall von den ursprünglichen Besitzern bevollmächtigt worden zu sein, „blockiert nichts“. Alle Anträge waren vom Landesamt abgelehnt worden. Die Entscheidungen seien inzwischen unanfechtbar, da Firma R. innerhalb der geltenden Frist keinen Widerspruch eingelegt habe. Um die Anträge stellen zu können, soll Firma R. angeblich Namen aus einem Telefonbuch aus dem Jahre 1933 auf gut Glück herausgesucht haben.

Abgesehen von diesem bekanntgewordenen Fall würden die „Rechtspositionen nur in Einzelfällen extrem ausgenutzt“, sagte der Amtsleiter. So habe etwa die „Interhotel“ in einem Fall einem Kläger eine Million Mark gezahlt, der keine Aussicht auf Erfolg gehabt haben soll, der aber eine Rückübertragung mit Gerichtsverfahren um Jahre hätte verzögern können. In einem anderen Fall soll ein Kläger 83 Millionen Mark gefordert haben.

Von ursprünglich 80.000 Grundstücken, bei denen es einen berechtigten oder unberechtigten Antrag auf Rückübertragung gegeben hat, sind 25.000 Flächen an Alteigentümer übereignet worden, berichtete das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen. In 15.000 Fällen wurden Anträge abgelehnt, gegen die in jedem dritten Fall Widerspruch eingelegt worden ist. In 1.500 Fällen sind die abgewiesenen Antragsteller vor Gericht gezogen. Holzinger schätzt, daß von den übrigen 40.000 Grundstücken ein Drittel zurückgegeben wird.

Daß es sich bei den „großangelegten Betrügereien“ um Einzelfälle handelt, vermutete gestern auch Justizsprecher Frank Thiel. Denn bei dem Sonderdezernat für Großbetrug sei kein Verfahren anhängig. Und ob im Falle eines Falles Betrug nachgewiesen werden kann, wußte auch CDU-Abgeordneter und Anwalt Gram nicht: „Das muß die Staatsanwaltschaft klären.“ Dirk Wildt