"Integraler Teil meiner Biographie"

■ Jürgen Kuttner, talkende Integrationsfigur beim Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB), über seine Gespräche mit der DDR-Staatssicherheit: "Ich war naiv, geschmeichelt und blauäugig"

Bestimmte Situationen folgen wahrscheinlich notwendig dem Klischee. Wenn ein sympathischer Kollege einen zum Beispiel anruft und mit belegter Stimme (wie man so sagt) erklärt: „Hallo. Hier ist Kuttner. Übrigens, ich war auch bei der Stasi.“ Man macht einen Termin, verabredet zwei Tage Stillschweigen und trifft sich dann in der Wohnung der „Kultfigur“ des ORB. Akten liegen im „Fall“ Kuttner noch nicht vor. Das einzige, was vorliegt, ist das, was er selbst erzählt.

taz: Warum sprichst du jetzt erst?

Jürgen Kuttner: Ich gehorche der Not. Ich reiße mich ja nicht darum, das öffentlich zu machen. Nur ist jetzt der Punkt, wo ich noch einen Viertelschritt voraussein kann, was die Öffentlichkeit betrifft. Ein paar anderen Leuten habe ich es schon vor sechs Wochen gesagt, dem Intendanten Rosenbauer und einigen engen Freunden. Außerdem war es für mich eine Geschichte, die sehr weit weg ist. Früher hab ich nichts gesagt, weil ich mir von dieser Geschichte nicht meine weitere Biographie bestimmen lassen wollte. Permanent mit dem Bewußtsein – Du warst mal bei der Stasi, deshalb darfst du dich da nicht bewerben, du darfst dies und das nicht machen –, so wollte ich nicht leben. Daß mich das irgendwann einholen kann, damit hab ich gerechnet.

Es gab ja Zeitpunkte, wo es nahegelegen hätte, sich zu bekennen: Bei der Stasi- und IM-Diskussion in der taz damals, bei der Sascha- Anderson-Diskussion?

Ich hätte damals gerne ein Statement abgegeben, aber ich fühlte mich in dieser ganzen Diskussion nicht wohl. Auch in der taz. Da war auch sofort dieser Vergleich DDR und KZ da und dies Oberlehrerhafte, daß die Ostler erst mal ordentlichen Staatsbürgerunterricht brauchen und so was.

Es heißt nur noch Stasi- Schwein. Es wird da kein Unterschied gemacht zwischen Christa Wolf, die vor vierzig Jahren mal zehn Treffen mit Stasis hatte, und Wolfgang Schnur, der da im Herzen der Opposition saß. Ich würde der Öffentlichkeit das Recht abstreiten, mich in eine moralische Diskussion zu verwickeln. So eine Diskussion finde ich angebracht und legitim, wenn wir die hier führen, mit Leuten, mit denen ich wirklich zu tun gehabt habe. Wobei ich mir bei den Sendungen schon ab und zu mal überlegt hatte, zu sagen: „Tach, hier ist der Sprechfunk. Ich war bei der Stasi. Jetzt wollen wir uns mal darüber unterhalten.“ Meine Hörer hätten das Recht gehabt, nicht der Spiegel.

Wie liefen die Stasi-Gespräche konkret ab?

Das klingt immer so bescheuert: Ich kann mich da nicht so genau erinnern. Ist aber so. Die haben mich zum ersten Mal bei der Armee angesprochen. Ich hatte da in der Telefonzentrale gesessen. Das waren zwei Offiziere vom armeeinternen Sicherheitsdienst. Das begann wohl, weil ich in der Armee mit jemandem befreundet war, für den sie sich interessiert hatten. Den habe ich aber nicht angeschissen.

Die Armee hatte ich als eine Zäsur empfunden. Von der Schule her hatte ich eine sehr utopisch und naiv gefärbte Sozialismusvorstellung, und dann kommst du mit 18 zur Armee und wirst dann knallhart mit so einer Arschlochrealität konfrontiert. Da waren die Gespräche mit diesen Typen auch eine Möglichkeit, das abzuarbeiten. Ich schätze, das waren zehn Gespräche, und wenn ich mein schlechtes Gedächtnis in Rechung stelle, waren es vielleicht fünfzehn. Richtig erinnern kann ich mich an zwei Telefonate, einmal hatte ich auch bei dem Typen im Auto gesessen und über Stalinismus diskutiert, ein oder zweimal bei mir zu Hause in Treptow. Einmal – nach meiner Armeezeit – ging es um einen Bekannten. Einen Typen in Treptow, der da groß agierte, auf die Druckmaschinen gestiegen ist und Leute zum Streik aufgefordert hat und solche Aktionen. Über den hab ich mal geredet. Daß er ein Antikommunist ist und so was. Da mach ich mir im nachhinein keine besonderen Vorwürfe, weil ich mit ihm auch privat sehr offensiv diskutiert habe. Ich kann mich an eine Nacht erinnern, wo wir sehr betrunken waren und er mich als Kommunistenschwein beschimpfte und ich ihm gesagt hab, daß ich stolz bin, Kommunist zu sein, und ich ihn als Antikommunisten beschimpft habe und er gesagt hat: Die Kommunisten an die Laterne, und so ging das hin und her. Jedenfalls habe ich kein Geheimnis aus meiner Position gemacht. Der ist dann später in den Westen gegangen. Ich hab mir in der Zeit nie Gedanken über Stasi gemacht. Du bist da hingegangen, als wenn du zum Politoffizier gehst.

Gab es eine formale Verabredung mit denen?

Die haben nach den Gesprächen gesagt: Das bleibt aber unter uns, da sind Sie zum Schweigen verpflichtet. Das hab ich so hingenommen. Ich hab da nie was unterschrieben und hab mich auch eher als Gesprächspartner gefühlt.

Ich hab nie Aufträge entgegengenommen – soweit ich mich erinnere. Ich hatte aber einen Decknamen: David. Wenn ich nicht konnte, sollte ich die unter dem Decknamen anrufen.

Wie war das während deines Studiums?

Die Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaften war in der politischen Zuverlässigkeit in der Humboldt-Uni ganz hinten. Dahinter kamen nur noch die Theologen. Da gab's laufend irgend welche politischen Skandale. Und da machst du so ein Studium mit Leuten, von denen du einige einfach für blöde hältst und siehst dann auch so Typen, von denen jeder sofort weiß, daß die bei der Stasi sind. Und die extrem borniert sind. Und wenn du über solche Typen mit der Stasi geredet hast, konntest du sagen: „Oh Gott oh Gott, wenn das der einzige ist, von dem Sie Informationen über den Zustand dieses Studienjahres kriegen, dann ist das nur katastrophal.“ Ich hab die Stasi ja akzeptiert. Ich war auch überzeugt, daß es ein wichtiger und richtiger Versuch war, da den Sozialismus aufzubauen. Daß das zur Folge hat, daß man auch geheimdienstlich arbeitet, hatte mein volles Verständnis.

Hast du dich auch mal verweigert?

Irgendwann nach meiner Armeezeit wollten die, daß ich mich ins „Kaputt“ (Ostberliner Studentenkneipe mit zahlreichem Westpublikum) setze und da Westler anquatsche. Die wollten, daß ich da Leute anwerbe.

Ich hatte sicher nicht die Absicht, jemandem zu schaden oder Vorteile zu erreichen. Ich hab es als politische Diskussion gesehen, die ich ja auch in anderen Gremien geführt habe. Auch an der Uni. Ich war ja damals nicht in einer bestimmten Szene drin. Gott sei dank. Die Szene, wo es hätte interessant werden können – also diese Undergroundgeschichten später –, da hatte ich mit der Stasi nichts mehr am Hut.

Wie ist die Sache auseinandergegangen?

Es gab da keine klare Zäsur. Es ist eingeschlafen. Die haben sich irgendwann nicht mehr gemeldet.

Ich fühl mich nicht als Täter. Die Stasi-Mitarbeit war ein Moment dessen, wie ich mich politisch engagiert habe. Ein viel wichtigerer Bereich war für mich immer das Engagement in der Partei gewesen oder das Engagement beim Festival des politischen Liedes. Chile '73 und der tote Allende oder Victor Jaras abgeschlagene Hände, Nicaragua und dieses Festival des politischen Liedes – das gehörte zusammen. Wobei die Stasi-Mitarbeit schon problematischer war. Ich kann die Stasi-Mitarbeit nur als integralen Bestandteil meiner Biographie definieren. Ich hab jetzt aber kein Schuldgefühl – ich kann sagen, daß ich sehr naiv, sehr blauäugig war, bestimmte Sachen verdrängt habe und heute anders sehe. Ich kann jetzt auch nur darauf warten, daß die Akten kommen. Vielleicht gibt es auch keine Akten. Das wäre auch sehr lustig. Scheiße – da hast du einen Salto gemacht, und wofür? Interview: Detlef Kuhlbrodt