Wurstfinger weg vom Klavier!

■ Die ersten 100 Tage sind um: Was hat Radiosanierer Christian Berg aus der guten alten „Hansawelle“ gemacht?

Wie kriegt man 52 alte Zirkuspferde dazu, nach vielen Jahren des gemächlichen Trabs plötzlich mit einem Tiger auf dem Rücken durch einen brennenden Reifen zu springen? Schwere Frage. Einer sollte die Antwort kennen: Christian Berg, seit rund hundert Tagen neuer Chef der Hansawelle von Radio Bremen, dem Paradekissen des hiesigen Rundfunks.

Zu oft hat man die 52 Mitarbeiter im circensischen Treiben der letzten Jahre hart am Zügel gerissen, auf den Hinterbeinen kehrt machen lassen, sie durch die Manege gescheucht und auf ihrem Rückenhochakrobatisch herumvoltigiert. Und nur selten kam Applaus. Das soll jetzt anders werden.

Die Hansawelle soll im Radio das werden, was Buten & Binnen im Fernsehen ist. Viel bremischer, viel frischer, viel ausgeschlafener als bisher. Die Anfänge sind gemacht: Man hört keine Goldkettchenknaben mehr singen, keine Seniorenanimateure moderieren durch Kukidentstunden und man erfährt aus Bremen jetzt schon etwas mehr als nur von der neuen Broschüre der Arbeitssenatorin und der neuesten Stellungnahme von Hartmut Frensel von der DAG.

„Ganz neu geht nicht“. Christian Berg weiß, daß man aus der Hansawelle kein obercooles Hiphop-Radio für Millionen machen kann. Er versteht sich als „eine Art Otto Rehhagel“. „Der kam zu Werder, als die in der zweiten Liga spielten“. An die großen Zeiten, als die Hansawelle „senden konnte, was sie wollte und immer noch 40 Prozent Marktanteil hatte“, will er nicht anknüpfen: „Wir sind ja in unserem Sendegebiet Marktführer. Wir müssen politisch auf dem Informationsstand von Klaus Wedemeier sein, und nach Möglichkeit noch darüber. Die Musik melodisch, markant, modern“.

Bis man ihm den Job anbot, kannte Berg die Hansawelle kaum: „Hab ich nicht gehört. Interessierte mich nicht“. Christian Berg weiß, daß es nicht mehr viele Chancen gibt, die Hansawelle zu sanieren: „Was hier läuft, ist ein Überlebenskonzept für ein Radioprogramm. Die Hansawelle muß ihre Existenzberechtigung nachweisen“.

Und das mit 52 alten Zirkuspferden. Christian Berg kann für die neue Dressur nicht alle gebrauchen: „Wir müssen effektiver arbeiten. Entweder das wird hier verstanden, oder es kommt der Untergang. Öffentlich rechtlicher Rundfunk heißt nicht: Wir arbeiten weniger, dafür bekommen wir aber mehr Geld“. Berg hat mit allen 52 Leuten gesprochen und jedem gesagt, was er will. „Viele haben jahrelang darauf gewartet, daß jemand von ihnen Leistung verlangt. Einige haben es befürchtet“. Die müssten eben was anderes machen. „Wer Wurstfinger hat, soll nicht Klavier spielen, sondern es tragen“, meint Berg. Nur eins sei klar: „Wir machen hier kein Berg-Radio. Hier läuft nicht mein großes Solo“. In der Redaktion habe sich schon einiges geändert. „Aber anfangs war es schon ein großer Erfolg, wenn einer freundlich über'n Flur ging.“

Christian Berg ist 44 Jahre alt. Fernsehen – Talkshow, Reportage – wird er weitermachen. Zwei Jahre, so glaubt er, wird es dauern, bis die Veränderungen auf der Hansawelle spürbar werden. „Für mich ist das ein endlicher Job. Ein zeitlich begrenztes Projekt. Ich bin ja nicht weg aus der Fernsehszene.“ Sein Problem sei die langsame Umsetzung seiner Ideen: „Man kann da nicht einfach einen Schalter umknipsen. Die Hansawelle ist ein Dampfer und kein Speedboot. Aber ich habe Geduld.“ Lutz Wetzel