■ Rußlands Waffenstillstandsofferte an die Tschetschenen: Je hilfloser, desto schamloser
Erstaunlich schnell reagierte der Kreml auf die Waffenstillstandsinitiative Sergej Kowaljows, des unbeugsamen Menschenrechtsbeauftragten. Angeblich errangen russische Bodentruppen gerade im Häuserkampf Sieg für Sieg, dennoch ließ man sich ein auf einen einseitigen Waffenstillstand. Aus militärischer Sicht, den Endsieg vor Augen, wenig begreiflich. Kowaljow hatte Premier Tschernomyrdin für eine Feuerpause gewonnen, um vor sich hinsiechende Verletzte aus dem umkämpften Gebiet zu evakuieren und Tote zu bestatten. Gleiches hatten die Tschetschenen schon zu Neujahr vorgeschlagen, ihr Ritus verlangt die Bestattung der Toten noch am selben Tag. Stumm blieb es hinter den Kremlmauern damals. Auch das jetzige Angebot – „ein Schritt des guten Willens seitens der russischen Führung“, wie es in der Regierungsverlautbarung heißt – ist ein Beleg des Schweigens, der Unmenschlichkeit – und der Verlogenheit.
Kowaljow reagierte harsch nach Bekanntwerden der amtlichen Version. Er zog seine Unterstützung zurück. Zu Recht. Das Waffenstillstandsangebot gleicht einem erneuten Ultimatum, das die alte Ideologie der „kriminellen Banden“ weitertransportiert, vorgebracht in jener Herrensprache, die die Nordkaukasier noch gut in Erinnerung haben. Der Unsprache jener, die nicht planen können, wie der Kriegsverlauf offenbart, dafür aber kommandieren, ansonsten betteln und vergeuden. Schlechte Verlierer, die vom Feind Sonderbehandlung verlangen, ansonsten mit der Liquidierung eines ganzen Dorfes drohen, wie es die Truppen des NKWD in den gleichen Bergen 1944 schon vorexerziert haben. Den Tschetschenen gebietet es nicht nur die Ehre, sie sind gut beraten, derartige Ultimaten nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Es geht ja auch nicht um Frieden. Kein Wort des Bedauerns, ja nicht einmal Erwähnung fanden die Toten und Verletzten in jenem ultimativen Text. Warum auch? Nach offizieller Version haben die Russen schließlich nur geringfügige Opfer zu verzeichnen. Statt dessen spricht der Text von der „Humanität“ des Vorschlags, der „Wunsch und Hoffnung der progressiven und demokratischen Kräfte des Landes“ ausdrücke. Hier sind wieder die alten Fälscher am Stümpern. Außer dem Ausland glaubt ihnen keiner. Den Westen gilt es zu beschwichtigen, schließlich verschlingt der Krieg Geld, wie die Strategen beunruhigt in den letzten Tagen feststellen. Amtliche Schönredner sehen sich häufiger bemüßigt, die horrenden Kosten öffentlich zu dementieren, als zu den wahren Menschenverlusten Stellung zu beziehen. Dem dient diese Übung. Die zivilisierte Welt darf sich nicht wieder hinters Licht führen lassen. Klaus-Helge Donath
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