Schlaftablette erledigt Regierungsgeschäfte

■ Eberhard Diepgen fiel gestern in die Rolle des langweiligen Staatsmannes zurück

Er wollte locker wirken. „Wenn ich im Mai noch lebe“, sagte der Regierende Bürgermeister, dann werde er von der CDU zum Spitzenkandidaten gekürt. Doch den Journalisten im Roten Rathaus konnte Eberhard Diepgen gestern auf seiner Jahres-Pressekonferenz gerade einmal ein Schmunzeln entlocken — lachen konnte keiner. Dabei war der blaße Eberhard seit seinem Schwächeanfall nach den Bundestagswahlen im Oktober vergangenen Jahres aufgeblüht, fiel in der Öffentlichkeit durch Schlagfertigkeit, Witz und Souveränität auf, sprintete in diesen kalten Tagen bei einem Werbegag („Fit für '95“) auf vereister Strecke den Chefredakteuren von Bingo-BZ und Hundert,6 davon.

Gestern aber war Diepgen wieder der alte. Als hätte der Demokrat Angst vor freier Rede, klebten seine Lippen an einem achtseitigen Manuskript. Er fiel in die altbekannte Rolle eines entrückten Staatsmannes zurück, der überheblich und manchmal gereizt wirkt. Kurzum: Er langweilt. Keine gute Voraussetzung für den Spitzenkandidaten einer Landes- CDU, die bei den Europa- und Bundestagswahlen starke Verluste hinnehmen mußte. Als es gestern um die „Bedürfnisse und Wünsche der Bürger“ ging, referierte Diepgen über eine bislang kaum wahrnehmbare Verwaltungsreform als „eines der wichtigsten Projekte in diesem Jahr“. Doch monoton vorgetragen, blieb die versprochene Bürgerfreundlichkeit der Beamten so schwer vorstellbar wie ein bürgernaher Diepgen.

Vielleicht hat seine neue alte Bläße ja politische Ursachen. Bei seinen Anfang 1990 formulierten Zielen hat der Senat jedenfalls nur in zwei Punkten Erfolge zu bieten: Die Gehälter im Ostteil der Stadt wurden trotz Geldmangel und gegen massiven Druck aus der Republik erhöht. Auch der Termin für den Umzug der Bundesregierung im Jahr 1999 scheint zu stehen. Die Olympia-Bewerbung aber scheiterte, und Diepgen geht inzwischen zu dem von ihm selbst entlasteten ehemaligen Geschäftsführer der Olympia-GmbH, Axel Nawrocki, auf Distanz. Für Akten von Dritten lege er seine Hand nicht ins Feuer, sagte er.

Die Reform der Verwaltung ist ins Stocken geraten. Die Gebietsreform wurde verschoben. Die Fusion mit Brandenburg droht zu scheitern – der Regierende mußte gestern von dem für Juni vorgesehenen Termin einer Volksabstimmung abrücken, ohne eine Alternative nennen zu können. Die Entscheidung über den Standort des neuen Großflughafens rückt mit „bis zum Sommer“ ebenfalls in immer weitere Ferne. Genug Gründe jedenfalls, warum Diepgen es im Wahljahr 1995 an Selbstvertrauen fehlen könnte. Dirk Wildt