Die rasende Rolltreppe Von Felix Berth

Endlich erfahren wir, warum unser Land in die momentane Rezession gestürzt ist. Ein Ulmer Fachhochschul-Professor hat uns die endgültige Erklärung geliefert: Es liegt am Stau. Franz-Josef Rademacher, so heißt der Mann, rechnet in der Woche vor, wieviel die Staus auf unseren Straßen jedes Jahr kosten. 200 Milliarden Mark, hat er festgestellt, zahlen wir für diesen Horror, 200.000.000.000 Mark. Der Bundesverkehrsminister darf im nächsten Jahr gerade mal 50 Milliarden für Asphalt und Schienen ausgeben, und selbst Theo Waigel verfügt in seinem Haushalt nur über 480 Milliarden. Dieser Geldstau muß ein Land doch in die Krise stürzen. Denn wären die deutschen Autofahrer nicht zum Stillstand gezwungen, könnten sie in der gleichen Zeit ja ordentlich verdienen – und tschüs, Rezession.

Herr Rademacher kann sich bei unserer Nachfrage zwar nicht erinnern, der Woche jemals ein Interview gegeben zu haben, er kennt das Blatt auch nicht, und die 200 Milliarden kommen ihm ziemlich hoch gegriffen vor. Doch wir wollen uns nicht mit solchen kleinlichen Einwänden aufhalten – ähnlich dem, daß Stau den Absatz von Mobiltelefonen steigert, wie der Erfolg der Branche zeigt. Wir grübeln auch nicht, wie viele Radiosender ohne Stau überhaupt noch Publikum hätten, denn nur im Stau kann man ja noch in Ruhe zuhören. Nein, eine solche Rechnung hat unseren Applaus verdient: dreißig Millionen Autofahrer pro Tag, 20 Minuten im Stau. Macht bei einem Stundenlohn von 60 Mark 200 Milliarden im Jahr.

Ein brillanter Ansatz, ganz gleich, ob die Zahlen stimmen. Und einer, der weitergehende Betrachtung verdient. Wie sieht's denn, fragen wir als brave Leser der Woche, mit den kostbaren Minuten aus, die manche täglich auf die U-Bahn oder den Bus warten? Zwei mal fünf Minuten Wartezeit im Schnitt, das macht bei 25 Millionen Fahrgästen am Tag sechs Millionen Stunden und kostet pro Jahr letztlich auch 90 Milliarden Mark.

Neinneinnein, hören wir daraufhin, so sei das nicht gemeint. Denn bei der Überlegung gehe es nur um den Wirtschaftsverkehr, der während der Arbeitszeit stattfindet. Wie lange jemand auf den Bus wartet, sei egal – denn das sind ja nicht die wertvollen Arbeitsstunden, die der Chef zahlen muß. Gut, liebe Woche, Antwort akzeptiert. Wie lange irgendwelche Geldverschwender morgens an irgendeiner Haltestelle warten, ist uns auch egal. Denn die tragen dann wenigstens nicht zu dem Stau bei, der uns jeden Tag wieder ärgert.

Aber trotzdem: Der Ansatz darf nicht auf den Stau beschränkt bleiben. Man denke doch nur mal an die vielen Aufzüge und Rolltreppen. Nehmen wir mal an, nur jeder fünfte Arbeitnehmer fährt zweimal täglich während seiner Arbeitszeit mit einem Aufzug oder einer Rolltreppe. Die durchschnittliche Fahrzeit dürfte wohl bei einer Minute liegen. Also wieder die Rademacher-Rechnung: Eine Minute mal eine Million Fahrten ergibt bei 60 Mark Stundenlohn auch sechs Milliarden pro Jahr.

Und diese ruinöse Summe läßt sich doch ganz einfach verringern: durch schnellere Aufzüge und Beschleunigungsprogramme für Rolltreppen. Doppelte Geschwindigkeit halbiert die Milliarden. Und sobald es gelingt, die Rolltreppen zehnmal so schnell wie heute laufen zu lassen, dann rast auch unsere Konjunktur wieder.