Ramschversion eines Künstlerpaares

■ „Camilla“, ein in Brauntönen gehaltenes Virtuosinnen-Porträt von Deepa Mehta

Lieben Sie Brahms? Akzeptieren Sie Leute, die sich für Künstler halten und ihrer Umwelt damit auf die Nerven gehen? Das sollten Sie, sonst werden Sie dieser Geschichte schwerlich etwas abgewinnen können. Freda Lopez (Bridget Fonda) ist eine erfolglose Musikerin, ihr Gatte Vincent (Elias Koteas) ein erfolgloser malender Grafiker, der Fredas musikalische Ambitionen nicht so ernst nimmt, wie sie es sich wünscht. Da die Ehe der beiden bohemian artists zwischen Frust und leiser Kränkung eher ins Off holpert, beschließen sie einen gemeinsamen Urlaub, um die Liebe wieder in Schwung zu bringen.

Das Paar mietet sich im Gästehaus von Camilla (Jessica Tandy) ein, einer ehemaligen Konzertviolinistin. Camilla wiederum wird ständig von ihrem Sohn, einem fetten Pornoproduzenten, gegängelt. Vincent schmeißt den Urlaub, als ihm Camillas Sohn den Zuschlag für eine Werbekampagne erteilt. Für die zwei Frauen lauter willkommene Gründe, um die Männer hinter sich zu lassen und sich auf und davonzumachen.

Ein Roadmovie, wie die Presse verspricht, ist es nicht gerade, was die in Kanada ansässige indische Regisseurin Deepa Mehta da in die Kinos schickt. Betulich und romantisch, in nostalgischen Braun-, Rot- und Goldtönen, erzählt sie Camillas und Fredas Reise in den Wintergarten von Toronto.

Die Farben vermitteln denn auch ganz richtig die den Film bestimmende Ablösung eines hehren Kunstbegriffs von der restlichen Welt. Wenn Vincent den Urlaub abbricht, um die Werbekampagne zu übernehmen, verrät er nicht nur die Liebe, sondern auch die Malerei. Camilla, Inbegriff noblen Künstlertums, erzählt mit Pathos in den Augen von ihrem Mann, einem Romancier, und Konzerten, nach denen junge Männer Selbstmord begingen. Freda flankiert sie wie eine preiswerte Kopie das Original. Freda und Vincent sind die Ramschversion eines Künstlerpaares.

Es ist allenfalls Jessica Tandys schönes altes Gesicht, das über die Leere des Films und seine gerade nicht vielsagende Langsamkeit hinwegsehen läßt. Twentysomething Bridget Fonda muß neben der großen britischen Lady zwangsläufig untergehen. Hilflos zucken Fondas Mundwinkel, wenn sie Bewegtheit vermitteln will; flach und unverbindlich ist das Lächeln, das eigentlich zärtlich sein soll. Nach dem singenden Fonda- Liebsten Eric Stoltz erscheint hier die singende Bridget. Eindeutig zuviel der Künstlerei. Und: Keine Ahnung, wer in dieser Rolle neben Tandy hätte bestehen können.

Vielleicht scheitert schon der erzählerische Ansatz von „Camilla“, die Transformation einer unbefriedigenden Gegenwart durch eine erhabenere Vergangenheit. Was neben Tandy bleibt, sind ein paar komische Situationen wie ein von der Fähre plumpsendes Auto und ein sweet nothing an wunderbaren Landschaftsbildern. Sinfonie in Gold. Bleicher Mond, blaue Nacht. Zuletzt tropft es vor lauter Happy- End von der Leinwand. Wie auch immer, man gehe ins Kino, um sich ein vorletztes Mal an Jessica Tandy zu berauschen. Anke Westphal

„Camilla“. Regie: Deepa Mehta, mit Jessica Tandy, Bridget Fonda, Elias Koteas u.a. USA 1994, 91 Min.