■ Theater gestern, heute, morgen, etc.
: Aus dem reifen Backfischalter

Die Zeitschrift Theater heute darf zwei in der Dezembernummer veröffentlichte Briefe von Botho Strauß auch gegen den ausdrücklichen Willen des Dramatikers weiterverbreiten. Das Landgericht Berlin hat am Dienstag nach Widerspruch der Zeitschrift eine von dem Schriftsteller Anfang Dezember erwirkte einstweilige Verfügung aufgehoben, nach der eine Veröffentlichung untersagt worden war. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, daß die Pressefreiheit in diesem Falle stärker gewichtet werde als Urheberrecht und allgemeines Persönlichkeitsrecht. Strauß' Anwalt kündigte Berufung an. Strauß hatte sich in seinen Briefen an Theater heute dafür gerechtfertigt, daß er seinen Essay „Anschwellender Bocksgesang“ in der im Ullstein Verlag erschienenen Aufsatzsammlung „Die selbstbewußte Nation“ veröffentlicht hat. Zum Schluß seines zweiten Schreibens hatte er gebeten, „die beiden Briefe an Sie als Privatsache zu betrachten und daraus nichts zu veröffentlichen“.

Vorerst also hat das „Interesse der Öffentlichkeit“ gesiegt. Aber was hat es der Öffentlichkeit gebracht, daß die Redakteure von Theater heute dem Dichterwunsch zuwiderhandelten? Durften wir zwei Briefe von „gehobenem Niveau“ lesen, wie die Richterin im Landgericht am Tegeler Weg formulierte?

Na ja. Wohl doch eher die leider allzu berechenbaren Verlautbarungen eines Autors, der sich wie kein anderer hierzulande öffentlicher Teilnahme an seinem Wirken erfreut und trotzdem nur noch in der muffigen Tonlage der beleidigten Leberwurst oder im geschwollenen Ton gekränkter Eitelkeit zu reden vermag. Sonst noch was? Wir durften einem Autor zusehen, der sich aus freien Stücken ins politische Handgemenge gestürzt hat – dem inkriminierten Buch wollte er ursprünglich sogar den Titel seines Essays „Anschwellender Bocksgesang“ leihen –, und der sich dann kokett zurückzieht, wenn sein Engagement ernstgenommen – und verworfen – wird.

Das alles wäre einfach lachhaft, wenn Strauß selber nicht zugleich immer wieder die altgediente rechte Rhetorik des existentiellen Ernstes und der Entscheidung bemühte. Franz Wille teilte er in seinem ersten Brief ganz ironiefrei mit, er befinde sich womöglich „ganz einfach [in] einem biographischen Stadium, das man früher reifes Mannesalter nannte“. Das ist ein Irrtum: Botho Strauß, ein Mann von glatten fünfzig Jahren, befindet sich im politischen Backfischalter. Und das ist in der Tat von öffentlichem Interesse. Jörg Lau