Angst vor Volkswiderstand

■ betr.: „Wenn der Zoll den Zensor spielt“, taz vom 24. 12. 94

Am 22. 12. 94 beschlagnahmte das Hauptzollamt Wuppertal die gesamte Auflage zweier Bücher, deren Druck der Pahl-Rugenstein Verlag in Ungarn in Auftrag gegeben hatte. Als Begründung wurde das „Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote“ von 1961 herangezogen. Nach diesem Gesetz reicht für eine Beschlagnahme der Bücher der Verdacht aus, daß ein „Verstoß gegen ein Strafgesetz, das ihre Einfuhr oder Verbreitung aus Gründen des Staatsschutzes verbietet“, vorliegt.

Mit Sorge beobachten wir die Übergriffe des Staatsapparates und die Versuche des Abbaus demokratischer Rechte. Das Demonstrationsverbot und der Polizeikessel anläßlich des EU-Gipfels in Essen verdeutlicht, wie „freiheitlich und demokratisch“ die Bonner Parteien mit Protesten gegen ihre volksfeindliche Politik verfahren wollen. So soll in Zukunft wohl auch die Verbreitung oppositioneller Literatur unterbunden und nur noch staatstragende, mit der Bonner Politik konforme Literatur zugelassen werden? Durchsuchungen von Redaktionen und Verlagen häufen sich. Zensur und Verfolgung oppositioneller Medien nehmen auch international zu; besonders hart ist die Unterdrückung der oppositionellen Medien durch die von der Bundesregierung unterstützte türkische Regierung.

Gerade weil sich oppositionelle Medienschaffende für die Verteidigung und Erweiterung demokratischer Rechte auch international zusammenschließen müssen, ist diese Zensur durch den Wuppertaler Zoll ein unerträglicher Akt, gegen den wir zusammen mit anderen demokratischen Kräften aufs schärfste protestieren. Harald Braun, Belegschaft und

Leitung des Verlags Neuer Weg,

Essen

Nur knapp 38 Prozent der Wahlberechtigten hat die Bundesregierung bei der Wahl hinter sich gebracht. Sie regiert also gegen fast zwei Drittel des Volkes. Dazu kommen noch Jugendliche und Ausländer, die nicht wählen durften. Da die Regierung nicht, wie Bert Brecht vorschlug, ein anderes Volk wählen kann, nehmen Zensur, Bevormundung und Repression zu. Dabei läßt sich in diesem „Rechtsstaat“ für fast jede Unterdrückungsmaßnahme ein Gesetz finden, wie das bei der Beschlagnahme verwendete Gesetz von 1961 zeigt.

In Essen wurde versucht, ein Verbot oppositioneller Demonstrationen und Kundgebungen beim EU-Gipfel mit einer Bürgerkriegsübung von Polizei und Grenzschutz durchzusetzen. Durchsuchungen von Redaktionen und Verlagen häufen sich. Man will wohl erreichen, daß nur noch staats- und regierungstreue Ansichten verbreitet werden. Dagegen ist Opposition von unten zur Verteidigung und Erweiterung demokratischer Rechte gerechtfertigt und nötig. Dieses Umsichschlagen des Staatsapparates zeigt seine Angst vor einem breiten Volkswiderstand. Gert Bierikoven, Geschäftsfüh-

rer Verlag Neuer Weg