■ Was kommt nach deutscher Bündnistreue?
: Die Herren des Verfahrens

Diesmal war's die Bündnissolidarität. Der eher mittelmäßige Plot, daß britische, französische, dänische usw. UN-Soldaten aus Bosnien heraus wollen und dabei auf den bewaffneten Widerstand von Serben, Muslimen oder beiden treffen, hat in der Bonner Inszenierung gereicht: die „Kohl-Doktrin“ (Josef Joffe), derzufolge selbst eine blitzeblaubehelmte Bundeswehr dort nichts verloren habe, wo seinerzeit die braune Wehrmacht ihrem Geschäft nachging, ist seit der Vorab-Entscheidung der Bundesregierung in Sachen Friedenstruppen-Evakuierung Vergangenheit.

Genugtuung also bei jenen, die sich seit langem der Aufgabe verschrieben haben, die windschattenverwöhnte Altbundesrepublik in den Genuß einer zugigen Freiluftveranstaltung zu bringen? Jein. Ja, weil es für eine Präsenz deutscher Soldaten, völlig unabhängig vom Ausgang in Bosnien, zukünftig keine Sperrbezirke mehr gibt, sofern nur dem Grundsatz „niemals allein“ Genüge getan ist und irgendeine Art internationales d'accord vorliegt. Nein, weil die vorsorgliche Bonner Zustimmung, „unsere Verbündeten aus Bosnien rauszuhauen“ (Generalinspekteur Naumann), kaum als ureigene Entscheidung durchgeht. Die Bundeswehr wird sozusagen zwangsverpflichtet. Und das ist in den Augen weitsichtiger Normalisierungsstrategen ein ganz erhebliches Manko.

Diejenigen, die generell einer neuen deutschen „Freiheit der Außenpolitik“ (Lothar Rühl) das Wort reden, sehen das bewährte Verfahren, mit dem die Bundesbürger ihrer großschweizerischen Sehnsüchte nach und nach entwöhnt wurden, inzwischen am kritischen Punkt angelangt: Daß auswärtige Autoritäten, etwa der UN-Generalsekretär, immer wieder animiert wurden, öffentlich nach deutschen Soldaten zu verlangen, war zwar immens erfolgreich; mit der – notfalls „robusten“ – Wahrnehmung deutscher Interessen allerdings hatten die Schnupper-Engagements der Bundeswehr in Kambodscha und Somalia wenig zu tun. Doch genau darum geht es: in Sachen Bundeswehr out of area endlich „Herr des Verfahrens“ (Martin S. Lambeck in der Welt) zu werden.

Das Vorrats-Ja zur Unterstützung der Nato-Verbündeten in Bosnien gilt deshalb als eine Art letztes notwendiges Übel, das in Kauf genommen wird, um beim nächsten Mal auch nein sagen zu können – je nach nationalem Interesse eben. Nachträglich in den Bosnien-Schlamassel „des Westens“ einzusteigen verböte sich unter normalen Umständen.

Solche Sicht der Dinge bringt eine Westbindung ganz eigener Art mit sich. Einer der in der ersten Reihe plazierten Kritiker deutscher „Machtvergessenheit“, Hans-Peter Schwarz: „Wenn man sich schon aus Gründen der Bündnisloyalität zu beteiligen entschließt, ist der Rückgriff auf Waffengattungen geboten, die ein Minimum an Verlusten bei einem Maximum an drohender Wirkung erwarten lassen.“ Da bietet sich der Himmel über Bosnien an, und die „Rauszuhauenden“ werden diese Solidarität, die den body count anderen überläßt, sorgsam registrieren.

Bleibt die Frage: Wie verträgt sich das mit der jederzeit und überall abrufbaren Selbstverpflichtung, deutsche Soldaten auswärts geschichtsbedingt nur noch im „multilateralen Verband“ auftreten zu lassen? Den „Herren des Verfahrens“ dürfte das wohl keine Schwierigkeiten bereiten. Arthur Heinrich

Redakteur der „Blätter für deutsche und internationale Politik“