Carlsson: Aus der Krise führt nur die Sackgasse

■ Schwedens neue Regierung führt den rigiden Sparkurs der Konservativen fort

Stockholm (taz) – „Wenn sich die Regierung darauf beschränkt, eine Arbeitslosenquote von zehn Prozent bloß zu verwalten, und den Sozialstaat weiter stutzt, kann sie keine Zustimmung der Gewerkschaften erwarten.“ So die Kritik der schwedischen Gewerkschaften am Haushaltsplan 95/96 der neuen Regierung von Ingvar Carlsson, den diese am Dienstag dem Reichstag in Stockholm vorlegte.

Verwundern kann die barsche Reaktion der Gewerkschaften angesichts der von den Sozialdemokraten im Wahlkampf gemachten Versprechungen nicht. Die damalige Oppositionspartei hatte die bürgerliche Regierung wegen unnötiger, ungerechter und weit übertriebener Einsparungen angegriffen. Einmal an der Regierung, führt sie diesen Kurs fort, kürzt beim Kindergeld, beim Arbeitslosengeld für Jugendliche, bei Renten, der Gesundheitsfürsorge und beim Wohngeld. Für jene SchwedInnen, die den Sozialdemokraten im September 1994 wieder zur Macht verholfen hatten, gab es ein böses Erwachen. Die RentnerInnen werden reichlich zur Kasse gebeten, Krankwerden wird für sie ebenso wie für Familien mit Kindern teurer. Das Krankengeld für die Versorgung kranker Kinder sinkt genauso wie das Erziehungsgeld. Besonders laute Kritik gab es an der neuen Regelung, Jugendliche bis zu 20 Jahren ganz von der Arbeitslosenversicherung auszuschließen und diese gleich zu SozialhilfebezieherInnen zu machen.

Noch im Wahlkampf hatte Carlsson eine neue Wirtschaftspolitik angekündigt, mit der die Arbeitslosigkeit (11 Prozent) schon 1995 auf 5 Prozent gesenkt werden sollte: durch Ankurbelung der Wirtschaft in Rekordzeit und durch Schaffung von 500.000 neuen Arbeitsplätzen. 4,5 Prozent Wachstum lautete das Ziel. Das neue Wirtschaftsjahr ist noch keine zwei Wochen alt, die Regierung gerade über hundert Tage im Amt – schon sind diese Ziele vergessen.

Der drastische Sparkurs sei ein „völlig falscher Weg“, schlagzeilte die Tageszeitung Aftonbladet, die Regierung wähle eine „Sackgasse aus der Krise“. 21,7 Milliarden Kronen (4,5 Milliarden Mark) will Carlsson in diesem Budgetjahr einsparen. Eine Bremsspur, die alle Träume vom Aufschwung zunichte macht. Denn dieser könnte nach Einschätzung der meisten Wirtschaftsexperten nur über eine größere Inlandsnachfrage geschaffen werden, denn der Export boomt bereits.

Schwedens Wirtschaftszahlen sind widersprüchlich. Einerseits steht das Land auf Platz sieben der von der Schweiz angeführten Liste der reichsten Länder der Welt, gleichzeitig aber hält es einen Spitzenplatz unter den am meisten verschuldeten Industrienationen. Die SchwedInnen produzieren ein hohes Bruttosozialprodukt pro Kopf, das aber zum großen Teil dafür draufgeht, national und international Schulden abzutragen. Die „kollektive“ Schuld wuchs von 44 Prozent des Bruttosozialprodukts 1990 auf 94 Prozent im letzten und vermutlich 103 Prozent in diesem Jahr. Nach Auffassung des Kreditbewertungsinstituts Moody's wird es voraussichtlich über ein Jahrzehnt dauern, bis Schweden sein Schuldenproblem in den Griff bekommt. Und trotz des als Wunderheilmittel propagierten EU-Beitritts kommt weder die Krone aus dem Tief heraus, noch fallen die rekordhohen Zinsen. So daß Carlssons rapider Bremskurs „eigentlich“ logisch erscheint.

Ebenso logisch aber auch die Warnrufe der Gewerkschaften: Mit eisernem Sparen ist die schwedische Volkswirtschaft nicht aus dem Graben zu bringen. Die Gewerkschaften schlagen statt dessen eine Steigerung der Auslandsverschuldung vor, um über einen stärkeren und schnelleren Wirtschaftsaufschwung letztendlich zu einem ähnlichen Sanierungsziel wie Carlsson zu kommen. Nur eben ein paar Schuldenjahre später. Reinhard Wolff