piwik no script img

Günstling der Nazis oder Wohltäter?

Zur Gedenkfeier zum 100. Geburtstag von Schickedanz blieb die NS-Zeit wohlweislich ausgeklammert, dafür wurde der „Quelle“-Fürst als genialer Unternehmer gepriesen  ■ Aus Fürth Bernd Siegler

„Quelle“ hat geladen, und alle sind sie ins Fürther Stadttheater gekommen. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und sogar der ehemalige amerikanische Außenminister und Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger, um der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Gustav Schickedanz zu gedenken. Schickedanz, der Gründer eines weltweit agierenden Konzerns mit 17,4 Milliarden Mark Umsatz im Geschäftsjahr 1993/94 und über 41.000 Mitarbeitern, wird als „leuchtendes Beispiel“ (Stoiber) gepriesen, als „genialer Unternehmer“ (Wolfgang Bühler, Vorstandschef von Schickedanz), als „Ehrenbürger, Unternehmer und Mensch“ (Fürths Oberbürgermeister Lichtenberg). Die Festredner ließen, umrahmt von Mozart- und Beethoven-Ouvertüren, das Lebenswerk des im März 1977 gestorbenen Unternehmers Revue passieren. Von der Unternehmensgründung 1927 bis zu seinem Tod. Die Zeit des Nationalsozialismus wurde dabei ausgeklammert. Wohlweislich?

In der Tat trat Schickedanz als Mäzen in den Bereichen Kultur und Sport auf und engagierte sich im sozialen Bereich. In der Tat gilt der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes als Verkörperung der Erfolgsstory vom Tellerwäscher zum Millionär. Der Sohn eines Werkmeisters, geboren am 1.1. 1895, gründete 1927 das Versandgeschäft „Quelle“. Es begann ein kometenhafter Aufstieg. Der Versandhandel erwies sich als Goldgrube. Das Konzept „Qualitätswaren zu kleinen Preisen“ ging auf. Auch in der Nazizeit ging es stetig bergauf.

1938 erreichte der Jahresumsatz mit 40 Millionen Reichsmark eine neue Rekordhöhe. Kein Wunder die „heim ins Reich“ geholten Länder Österreich und Sudetenland bescherten neue Kunden. Erst 1943 versiegte die Quelle. Ein Luftangriff zerstörte das Lager.

In firmeneigenen Publikationen liest sich das heute ganz anders: „Der nationalsozialistische Staat verbot eine Erweiterung von Kauf- und Versandhäusern.“ Von den Nazis wurde die Vertriebsform des Versandhandels pauschal als „jüdisch“ verdächtigt. Doch Schickedanz, der am 1. 12. 1932, also noch vor der „Machtergreifung“, in die NSDAP eintrat (Mitgliedsnummer 1.355.993), reagierte schnell. Um ja nicht mit Juden verwechselt zu werden, ließ er im April auf die Titelseite der Neuesten Quelle- Nachrichten eine notarielle Beglaubigung drucken, daß „dieses Versandhaus ein rein christliches Unternehmen ist [...] und ausnahmslos deutsche Waren verkauft“. Die Prädikate „arisch“, „deutsch“ und „christlich“ durften nur mit Genehmigung der Partei geführt werden. Selbst im Quelle- Katalog wurde das „Bildnis unseres Volkskanzlers“ Adolf Hitler für nur eine Reichsmark feilgeboten – als mehrfarbiger Kunstdruck.

Während Schickedanz' jüdische Konkurrenz, beispielsweise die Warenhauskette Tietz (später Hertie), arisiert wurde, andere das Weite suchten, florierte „Quelle“. Und man stellte immer wieder klar, daß jeder anständige Deutsche auch weiterhin „Quelle- Kunde sein darf“. „Wo darf der Deutsche kaufen? Er darf in jedem gut geleiteten, deutschen Geschäft kaufen. Dazu gehören auch die Versandgeschäfte, soweit sie deutsche Geschäfte sind.“

Am 1. 10. 1935 wurde Schickedanz von der NSDAP in den Stadtrat der Stadt Fürth berufen. Dort saß er mit Johann Sandreuther, der in Fürth maßgeblich an Arisierungen beteiligt war, an einem Tisch. Seit 1933 wurden jüdische Unternehmen boykottiert, dann arisiert. 1935 greift Schickedanz zu. Er übernimmt die florierenden Vereinigten Papierwerke (VP) mit der eingeführten Marke „Tempo“ der Gebrüder Rosenfelder. Die waren vor den Pogromen nach England geflohen. Die Schickedanz-Firmenführung behauptet heute, man habe ja schließlich einen fairen, bereits vor 1933 vereinbarten Preis bezahlt. Im letzten Jahr verkaufte die Schickedanz-Holding VP an den US-Konzern Procter & Gamble für etwa eine Milliarde Mark.

Die auf Hochtouren laufende Arisierung brachte Neider auf den Plan. Eine „Göring-Kommission“ überprüfte ab 1939 die auch für damalige Verhältnisse unglaubliche Bereicherung einzelner Parteifunktionäre. Auch Schickedanz wird darin erwähnt. In dem von SS- Obersturmbannführer Meisinger gezeichneten Abschlußbericht heißt es: „Auf Wunsch des Gauleiter-Stellvertreters Holz wurde ein Günstling der Gauleitung, Schickedanz, bevorzugt.“

In der Spruchkammerakte über Benno Martin, den Nürnberger Gestapo-Chef, taucht Schickedanz dann als Mitglied eines Widerstandskreises 1944 auf. Alexander Schmidt, Historiker vom Nürnberger Verein „Geschichte für alle“, wertet dies aber als Persilschein. „Allenfalls kann man sagen, daß Schickedanz zu klug war, um auch noch 1944 ein glühender, unkritischer Anhänger des Nationalsozialismus zu sein.“ Schmidt stuft Schickedanz als „guten, soliden Geschäftsmann ein, der vom Wegfall der jüdischen Konkurrenz profitierte und seine Geschäfte abwickelte, ungeachtet dessen, was um ihn herum in Deutschland passierte“.

Nach dem Krieg konnte Schickedanz erst 1949 wieder schalten und walten, wie er wollte. Von den Amerikanern mit Berufsverbot belegt, mußte er es seiner Ehefrau Grete überlassen, die Kontakte zu Lieferanten und Fabrikanten aufrechtzuerhalten. Die „Quelle“ sprudelte wieder. 1949 betrug der Umsatz schon wieder 12 Millionen.

Jetzt zum Festakt hat die Schickedanz-Firmengruppe eigens Henry Kissinger für viel Geld engagiert. Kissinger, ein gebürtiger Fürther, sollte in seiner Festrede an den Einsatz von Schickedanz für die Rechte jüdischer Mitbürger und ausländischer Zwangsarbeiter erinnern. Statt dessen referierte er aber über die Umbruchsituation nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und über amerikanische Außenpolitik – und daß die Familie Schickedanz „zu den anständigsten Familien“ gehört hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen