Viele Realisten und viele Schlaumeier

Die Bürgerinitiativen gegen den Großflughafen machen sich wechselseitig das Leben schwer / Vorschlag: Jüterbog und Sperenberg „entsiedeln“ / Die Landesregierung teilt und herrscht  ■ Von Hannes Koch

Freudig meldete sich Johannes Hauenstein per Presseerklärung zu Wort. Der Aktivist der „Bürger und Bürgerinnen gegen das Luftkreuz“ schlug vor, ein Gebiet von 90 Quadratkilometern bei den brandenburgischen Kleinstädten Sperenberg und Jüterbog „zu entsiedeln“. Die Bevölkerung könne „großzügige finanzielle Entschädigung“ erhalten.

Hauenstein selbst lebt 500 Meter von der Startbahn des Berliner Flughafens Tegel entfernt. Seit Jahren quält ihn der Lärm der Düsenjets. Demzufolge begrüßte er die Entscheidung des brandenburgischen Umweltministers Matthias Platzeck (parteilos), den Berliner Großflughafen tief in der Provinz, bei Sperenberg oder Jüterbog, zu bauen. Hauenstein und seine LeidensgenossInnen sehen darin die einzige Chance, die städtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof zu schließen. Auch Manfred Baum von der „Bürgerbewegung Berlin- Brandenburg“ zieht mit an diesem Strang. Er und und der größte Teil seiner Klientel wohnen rund um den alten DDR-Flughafen Schönefeld, weshalb sie die Potsdamer Landesregierung in ihrer Ablehnung des Flughafenausbaus an diesem Standort unterstützen und statt dessen ebenfalls für Sperenberg plädieren.

Derartige Vorschläge aus dem Norden sorgen weiter südlich für großen Ärger. „Mit denen kommen wir nicht zurecht“, weiß Carsten Preuß, Chef der „Initiative gegen den Flughafen Sperenberg“. Die Spaltung der Opposition hat sich mittlerweile fest eingegraben. Ein gemeinsames Vorgehen ist außer Reichweite, und die brandenburgische Landesregierung hat leichteres Spiel, ihre Pläne zum Bau des Superairports für 30 Millionen Passagiere durchzusetzen.

Die Fronten der FlughafengegnerInnen sind sauber getrennt, aber Carsten Preuß steht nicht alleine da. Mit ihm kämpfen die Grüne Liga, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg und Berlin. Immer wieder betont das Bündnis seine grundsätzliche Ablehnung des Flughafenneubaus und der Steigerung des Luftverkehrs – eine Position, die Johannes Hauenstein und Manfred Baum für nicht durchsetzbar halten.

„Schlauermeiermäßig“ findet es Tegel-Anwohner Hauenstein, wenn der BUND den Flugverkehr einfrieren oder gar reduzieren will. Schließlich bringe die Verlagerung des Regierungssitzes nach Berlin automatisch mehr Flugverkehr mit sich und die Luftfahrt-Lobby sei stark genug, sich drastischen Einschnitten zu widersetzen. Tatsächlich steckt nicht nur Hauenstein mit seiner Umsiedlungsidee argumentativ in der Bredouille, sondern auch die Sperenberger Initiative. Carsten Preuß fordert zwar, Tegel und Tempelhof zu schließen und Sperenberg nicht zu bauen. Aber irgendwo muß der realexistierende Flugverkehr bleiben. Des Rätsels Lösung: Alle Jets sollen in Zukunft in Schönefeld landen. Deshalb kann man den dortigen AnwohnerInnen nur wünschen, daß sie genug Geld für Schallschutzfenster auf dem Konto haben.

Mittelfristig, so räumt Preuß ein, sei in seinem Szenario sogar mit einer wachsenden Zahl von Flugbewegungen in Schönefeld zu rechnen, so daß zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden müßten. „Qualifizierte Nullvariante“ nennt er die Lösung, die die Wiederinbetriebnahme der alten Schönefelder Nordstartbahn und die Option auf den Bau einer zusätzlichen Piste beinhaltet. Die Widersprüche im Widerstand wurden nicht zuletzt hervorgerufen durch die geschickte Taktik der brandenburgischen Landesregierung, die von westlichen PolitikerInnen und ihrem Umgang mit den sozialen Bewegungen in der alten Bundesrepublik vieles gelernt hat. Nicht ein Flughafenstandort wurde klammheimlich ausgekungelt, um ihn dann gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Nein, Dutzende von Orten ließ Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) untersuchen, um schließlich drei in die engere Auswahl zu nehmen. Während des langwierigen Auswahlprozesses haben die Initiativen in den von der Landesregierung geschaffenen Bürgerbeteiligungsgremien viel Zeit, ihre widersprüchlichen Positionen zu differenzieren. Gemäß dem Prinzip „teile und herrsche“ bemühen sich Stolpe und Platzeck derweil, mit der Schönefelder Initiative im Rücken, den Standort Sperenberg durchzusetzen.