: Im Fahrwasser der Kleinstbetriebe
■ Schluß mit dem föderalen Denken – Berliner Kulturschaffende organisieren sich im Rat für die Künste. Er fordert einen Bundesbeauftragten und Geld für alle(s).
Sie kommen nach Berlin, sagen wir: in naher Zukunft. Sie kommen mit der Bahn. Schon mit dem Ticket wird Ihnen ein Haupstadtplan in die Hand gedrückt, auf dem Kultur- und Kunstinstitutionen grün angekreuzt sind. Neben dem aktuellen Monatsprogramm informieren mehrere Beiblätter über das Profil von Tacheles, Neue Nationalgalerie, Kulturamt Hellersdorf. Nur als Beispiele. Auf dem U-Bahnhof Zoologischer Garten dann fällt Ihr Blick nicht auf den Marlboro-Mann, sondern eine Künstlerin samt Skulptur ist ganzwandig plakatiert, und eine Sprechblase verkündet, ihr Name sei XY, sie stelle jetzt erstmals aus, und Sie sollten doch mal vorbeikommen. Irgendwas ist hier anders als in Wuppertal, denken Sie und lesen das Kleingedruckte auf dem Plakat: Eine Initiative des Rats für die Künste in Berlin.
Hauptstadt der Künste – eine Phantasie. Das heißt: der von Berliner Kulturschaffenden im letzten Herbst initiierte Rat für die Künste existiert jetzt zwar offiziell, aber nicht das Geld für solche Eigenpropaganda. Denn noch gibt es ihn nicht, den Pressesprecher der Bundesbeauftragten für Hauptstadtkultur, der einem auf Wunsch den Länderschlüssel zuschicken würde, nach dem der Bund die Berliner Kunst und Kultur fördert.
Die Realität ist halb so bunt: Berlin verliert permanent an kultureller Substanz, wie das immer so unschön heißt. Die Freie Volksbühne und das Schillertheater wurden geschlossen und kommerzialisiert, jährlich gehen 200 Ateliers verloren. Und wenn alles so weiterläuft, wie es das Phantom der Kulturpolitik zuläßt, müssen allein in diesem Jahr zwei der drei große Opern geschlossen werden – oder wahlweise 40 kleine Institutionen.
Denn von den 210 Millionen Mark Bundeskulturförderung noch im Jahr 1990 sind 1995 gerade mal fünf Millionen übriggeblieben – Ersatz aus dem Vermögen ehemaliger DDR-Parteien. 1996 sollen es dann zwar wieder 60 Millionen Mark sein, aber das macht immer noch ein Minus von 150 Millionen Mark. Dessen ungeachtet baut sich der Staat Berlins Mitte derzeit zur Regierungsfestung aus.
Mit dem verzweifelten Mut zur Selbsthilfe haben sich jetzt rund 100 Kulturinstitute zu einem Rat für die Künste in Berlin zusammengeschlossen. Schaubühnen- Direktor Jürgen Schitthelm und Reinhard Hauff von der Deutschen Film- und Fernsehakademie sind da ebenso vertreten wie etliche kleine und kleinste Kunstbetriebe: Not schafft Solidarität. Und gemeinsam versuchen sie jetzt, zehn nach zwölf, das kulturpolitische Ruder herumzureißen. Kunst in Berlin ist ein Pfund, mit dem man wuchern kann, finden sie, fordern größere Präsenz in der Öffentlichkeit, eine Bundesbeauftragte und vor allem: Bundesgeld für alle(s).
Auch die Förderung der Bonner Kultur – geregelt durch einen Hauptstadtvertrag Kultur – mit alljährlich 130 Millionen Mark war ja stets unumstritten. Pro Kopf hochgerechnet müßte Berlin, wo derzeit verhandelt wird, welche Institutionen in einen solchen Hauptstadtvertrag aufgenommen werden, dann ja... Aber während Bonn trotz seiner 130 Millionen immer nur Bonn blieb, ist Berlin für die Hauptstädte der Länder ja schon jetzt eine Konkurrenz. Die bevorstehende Austrocknung 1995 könnte die zukünftige Attraktivität Berlins schon deutlich vermindern. Schluß mit dem föderalen Denken, fordert dagegen der Rat für die Künste. Wer Berlin als Bundeshauptstadt vorzeigen wolle, könne die Kulturfinanzierung nicht einen Tag länger Sache des Landes sein lassen.
Die Berliner Kulturlobby pocht also auf die Hauptstadtkultur-Sonderstellung und einen pauschalen Substanz- und Strukturerhalt, während Strukturreformen und Schwerpunktsetzungen in allen anderen deutschen Großstädten schon obligatorisch geworden sind. Dabei sollte die Vorstellung einer hauptstädtischen Kulturblüte nach dem Muster der Hauptstadt der Republik (oder gar der Reichshauptstadt) doch auch mit einem Fragezeichen versehen werden. Wirklich Schluß mit dem föderalen Denken?
Diejenigen, die vom Regierungsumzug unmittelbar betroffen sind, weil sie aus dem Zentrum vertrieben werden oder Mieten nicht mehr bezahlen können, sind vor allem freie Theatergruppen, Tanzkompagnien, Musikgruppen oder freischaffende KünstlerInnen. Sie haben wirklich Anspruch auf überproportionalen Regreß. Die Etablierten hingegen sind nicht stärker bedroht als ihre Kollegen anderswo auch. Was das moralische Recht anbelangt, schwimmen die Großintendanten im Rat für die Künste also eher im Fahrwasser der Kleinstbetriebe. Auch wenn's andersherum verkauft wird.
Geplant ist jetzt beispielsweise eine persönlich geleitete Stadt- Verführung von ParlamentarierInnen. Staatstheater-Intendant Thomas Langhoff, so muß man sich das vorstellen, nimmt einen skeptischen Schwaben am Tegeler Flughafen in Empfang, setzt sich mit ihm in die U-Bahn, bringt ihn in sein Deutsches Theater und von dort aus ins Weite Theater in Berlin-Hellersdorf. So groß ist die Stadt! Und VolksvertreterInnen sollen „ein kleines Teilchen des kulturellen Berlin persönlich gern haben“, wünscht sich Christoph Stölzl vom Deutschen Historischen Museum.
An Engagement für die eigene Sache fehlt es nicht. Genau daraus ergibt sich allerdings auch schon der erste Kritikpunkt am Rat selbst. Als Betroffenenvertretung ist er natürlich als Sesselklebe-Organisation angreifbar. Zweitens wird sich der Schulterschluß von Groß und Klein nicht lange durchhalten lassen, sobald es erst wieder was zu verteilen gibt. Schon jetzt polemisierte ein Literaturhaus- Leiter in einem offenen Brief gegen einen anderen, über dessen spezielle Misere in der Presse gerade berichtet wurde. Kunst ist ein Spartenbetrieb, auch wenn Ivan Nagel das „blöde“ findet, und innerhalb der Sparten herrscht nun mal Konkurrenz.
Drittens ist die Idee mit den ParlamentarierInnen-Touren reizend, kann aber auch nach hinten losgehen. Statt eine Patenschaft zu übernehmen und im Ländle einen Kulturgroschen für Berlin durchzusetzen, könnte der Schwabe ja für überreichlich halten, was er sieht. Viertens hat sich Berlin in letzter Zeit ja in keinem Bereich als Brutstätte ästhetischer Innovation hervorgetan. Das Gießkannenprinzip bei der Subventionierung hat jetzt schon deprimierende Folgen.
Geld für Hauptstadtkultur ist notwendig – aber eben nicht flächendeckend. Das Hauptstadt-Label sollte nicht überstrapaziert werden. Schadenersatz ja. Ruhig auch etwas mehr. Aber keine höfischen Privilegien. Petra Kohse
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