Großputz im Kreml

Angesichts der militärischen Blamage in Grosny sucht man in Moskau nach Schuldigen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Nachdem die für den Tschetschenien-Krieg Verantwortlichen landesweit ins Kreuzfeuer gerieten, scheint nun den Querschlägern nach zu urteilen ein shoot out hinter Kreml-Mauern anzustehen. Wer überlebt, wer nicht, läßt sich vor dem Duell selten sagen. Zumal bisher offen ist, ob nicht jeder gegen jeden antritt. Das Bild, das die Machtzentrale heute liefert, schmeichelt jedem Freudenhaus. Ein Moment gewinnt allerdings an Klarheit: Präsident Jelzin ist nach außen hin bemüht, Entschlossenheit zu zeigen und die Sache an sich zu ziehen. Die Intention, sich die Hände vom Blut reinzuwaschen, dürfte ihm nicht mehr gelingen.

Nach einer Sitzung mit den Vertretern beider Parlamentskammern, Schumeiko und Rybkin, sowie Premierminister Tschernomyrdin sickerte durch, Jelzin beabsichtige, die Leitung des Generalstabes selbst zu übernehmen, die bisher dem Verteidigungsministerium oblag. Gestern allerdings dementierte Jelzins vor Monaten entlassener Pressesprecher Kostikow derlei Vermutungen. Kein Zweifel besteht hingegen, daß der Herrenklub im Kreml nun bereit ist, Verteidigungsminister Gratschow zu opfern – in der Hoffnung, so den Löwenteil der Schuld an dem verpatzten Abenteuer im Kaukasus ihm in die Schuhe zu schieben.

In den Chor fiel auch Vizepremier Sergej Schachrai ein, der die Kriegspartei ursprünglich lautstark unterstützte. Er verlangte eine Untersuchung, wie der tschetschenische Präsident in den Besitz eines so ungeheuren Waffenpotentials gelangen konnte. In Moskau wird es schon als offenes Geheimnis gehandelt: Gratschow selbst unterzeichnete ein entsprechendes Abkommen. Im Interview mit der Armeezeitung Krasnaja Swesda gab er kund, nie hätte er im Sicherheitsrat behauptet, Tschetschenien ließe sich in einem Blitzkrieg nehmen, sondern von vornherein darauf verwiesen, der Krieg werde Jahre dauern.

Dran glauben mußte zunächst auch Vizepremier und Sicherheitsratsmitglied Oleg Soskowetz, der die Koordination der Unternehmung Tschetschenien geleitet hatte. Er repräsentiert den militärisch-industriellen Komplex. Seine Funktion übernimmt Premier Tschernomyrdin, den Soskowetz mit Hilfe des Intimfreunds des Präsidenten, dem Chef seiner Leibgarde, Korschakow, ins politische Off zu drängen versuchte.

Sollte Jelzin tatsächlich die Kontrolle des Generalstabs übernehmen, unterstehen ihm damit alle entscheidenden militärischen Institutionen einschließlich der Aufklärung. Generalstabschef Michail Kolesnikow reagierte äußerst überrascht und warnte vor überhasteten Maßnahmen. Derselbe hatte tags zuvor einen sibyllinischen Satz gesprochen: der Übergang des Landes zu einem neuen staatlichen Modell diktiere, die Notwendigkeit die Rolle des Generalstabes bei der Entscheidung aller wichtigen Sicherheitsprobleme der Russischen Föderation zu berücksichtigen. Eine Drohgebärde, verletzter Stolz oder anstehendes Szenario – die Antwort bleibt offen.

Sergej Filatow, Leiter der Administration des Präsidenten, meintem, „der Kurswechsel in Richtung gewaltfreie Lösung der Krise“ sei mit allem Nachdruck getroffen worden. Auch das bewegt sich im Rahmen einer Ankündigung, solange in Grosny noch gekämpft wird. Ein interessantes Detail liefert der stellvertretende Sprecher des Föderationsrates, Abdulatipow. Seine Anstrengungen, mit Vertretern des Nordkaukasus friedliche Lösungsmöglichkeiten zu finden, seien auf vielfältige Weise hintertrieben worden.