„Wie in einem Film von 1933“

In der Berliner FDP tobt ein Machtkampf zwischen Rechten und Linken / Außerordentlicher Parteitag soll Landesliste durchsetzen / Warnung vor rechtsradikaler Unterwanderung  ■ Aus Berlin Severin Weiland

In den letzten Wochen hat Günter Rexrodt eine neue Erfahrung machen müssen. Wo der Bundeswirtschaftsminister und Landesvorsitzende der Berliner FDP bei westdeutschen Parteifreunden auftauchte, wurde er fast wie ein Aussätziger behandelt. „Mensch, was ist denn bei euch los, ihr seid ja eine rechtsradikale Partei.“ Solche Töne bringen den ansonsten eher bläßlichen Rexrodt mächtig in Wallung. Verzweifelt versucht er den Eindruck zu verwischen, sein Landesverband laufe ins brauntrübe Fahrwasser.

Unlängst hatte seine linksliberale Amtsvorgängerin Carola von Braun vor einer rechten Unterwanderung gewarnt. Die energische Frau mit dem Kurzhaarschnitt, die ihre Friseurbesuche aus der Fraktionskasse beglichen hatte und daraufhin im Frühjahr 1994 von sämtlichen Parteiämtern zurücktrat, fühlte sich bei Versammlungen in ihrem Tempelhofer Bezirksverband an „einen Film von 1933“ erinnert. Der Abgeordnete Michael Tolksdorf ortete merkwürdige Übertritte von einem Verband in den nächsten. Mit einer Art „Lastwagendemokratie“ versuchten Mitglieder, die eher dem „rechten Rand der CDU oder bei den Reps“ anzusiedeln seien, Mehrheitsverhältnisse zu kippen. In der Partei wird um die Macht gekämpft wie seit langem nicht mehr. Stets war die Berliner FDP anfällig für harte Flügelkämpfe. Doch diesmal scheint die Mitglieder die Lust am eigenen Untergang noch mehr als bisher anzustacheln.

„Lastwagendemokratie“ und Haider-Kontakte

Kaum hatte von Braun ihre Warnung abgelassen, da strengte der Tempelhofer Bezirkschef Klaus Gröbig gegen sie ein Parteiordnungsverfahren an. Der 38jährige Beamte gilt als Exponent des nationalliberalen Flügels. So fiel er mit abstrusen Forderungen wie der nach einem „Bundesland Preußen“ auf. Der Sprecher seines Tempelhofer Bezirkausschusses, Torsten Witt, scheute in der Vergangenheit auch nicht den Kontakt zum Rechtspopulisten Jörg Haider, dem Chef der österreichischen FPÖ.

Die Rechten sehen sich – zumindestens medial – im Aufwind. Geschickt lancierte eine Gruppe um den Ex-Generalbundesanwalt Alexander von Stahl ein Papier, in dem die Wiederbelebung des Nationalen und der starke Staat eingeklagt werden. Sein Berliner Mitstreiter Wolfgang Mleczkowski holte sich unlängst mit dem Welt- Redakteur und Ex-Ullstein-Lektor Rainer Zitelmann einen jungrechten Vorkämpfer in seinen Spandauer Bezirksverband.

Von einer rechten Unterwanderung will Rexrodt nichts wissen. Der Vorstand beobachte alle Neueintritte, versuche in Einzelgesprächen Positionen abzuklopfen. Bloß „bündische und national orientierte“ Kräfte will der FDP-Chef erkannt haben. Ohnehin liege deren Zahl bei 90 bis 140, angesichts von 3.400 Mitgliedern sei ihr Einfluß folglich sehr gering. Von Stahls Papier verdiene „nicht die Resonanz, die ihm entgegengebracht wird“. Rexrodt versucht die Probleme seiner Partei herunterzumoderieren. In den eigenen Reihen geht die Angst um, die Hauptstadt-FDP kämpfe ihr vielleicht letztes Gefecht.

Landes- oder Bezirkslisten für die Berlin-Wahl?

Im Oktober wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt, die kleine FDP-Fraktion kämpft um den Wiedereinzug. Viele potentielle Kandidaten, die Zeit und Geld in den Wahlkampf investieren müßten, seien nur „sehr schwer zu motivieren“, meint ein Fraktionsmitarbeiter. Knappe 5,2 Prozent erhielt die FDP bei der Bundestagswahl in Berlin. Im Ostteil bahnt sich eine Katastrophe an: nur 1,9 Prozent am 16. Oktober 1994.

An diesem Samstag soll auf einem außerordentlichen Landesparteitag eine Richtungsentscheidung für den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus fallen. Wird, wie es Rexrodt und der Landesvorstand wünschen, die Partei in diesem Oktober mit einer Landesliste antreten? Die notwendige Zweidrittelmehrheit ist keinesfalls sicher. Inbesondere die Parteirechten unter den rund 350 Delegierten streben Bezirkslisten an. Sie befürchten, daß ihre Kandidaten bei der für das Frühjahr anvisierten Nominierung auf einer Landesliste mit unattraktiven Plätzen abgespeist werden. Intern wird bereits eifrig gerechnet: Bekäme die FDP knapp über fünf Prozent, reichten die ersten acht Plätze der Landesliste für den Einzug ins Abgeordnetenhaus aus.

Das Vorstandsmitglied des rechten Tempelhofer Verbandes, Markus Roscher, hält die Landesliste nur dann für sinnvoll, „wenn alle Flügel gleichmäßig integriert werden“. Aber diesmal, so glaubt der 31jährige Rechtsreferendar, diene sie nur dem Zweck, Männer wie Mleczkowski oder Gröbig „abzusägen“.