■ Niedersächsische SPD-PolitikerInnen, Jusos und die Bündnisgrünen fordern das Kommunalwahlrecht ab sechzehn Jahren. Wenn sich der SPD-Landesparteitag dafür entscheidet, könnte es schon bei der...
: Die Erwachsenen werden immer jünger

Niedersächsische SPD-PolitikerInnen, Jusos und die Bündnisgrünen fordern das Kommunalwahlrecht ab sechzehn Jahren. Wenn sich der SPD-Landesparteitag dafür entscheidet, könnte es schon bei der Kommunalwahl 1996 verwirklicht werden.

Die Erwachsenen werden immer jünger

Im Alter von 16 Jahren dürfen Jugendliche schon lange ein eigenes Konto eröffnen, schlafen mit wem sie wollen – aber die Partei wählen, der sie ihr Vertrauen schenken, das dürfen sie nicht. Die Partei Bündnis 90/Grüne und die Jusos in Niedersachsen wollen das jetzt ändern: von ihnen kommt eine Initiative, künftig schon Jugendlichen ab 16 Jahren das Wahlrecht einzuräumen. Das „kommunale Wahlrecht“, um genau zu sein. Auf dem Landesparteitag der SPD im März in Niedersachsen wollen die Sozialdemokraten über den Vorstoß entscheiden.

Landesjustizministerin Heidi Alm-Merk, Umweltministerin Monika Griefahn und Frauenministerin Christina Bührmann (alle SPD) haben sich für die Idee schon stark gemacht. Wenn der Parteitag für eine entsprechende Reform votiert, könnte der Landtag dann mit einfacher Mehrheit die Absenkung des Wahlalters von bisher 18 auf 16 Jahre beschließen. Denn zumindest in Niedersachsen ist das Kommunalwahlalter — anders als das Wahlalter für den Landtag — nicht in der Verfassung geregelt. Schon auf einer Landtagssitzung zur Reform der Kommunalverwaltung am 25./26. Januar werden die Grünen beantragen, das Alter für das aktive Kommunalwahlrecht auf 16 Jahre abzusenken.

Diese Absenkung des Wahlalters sei „eine kleine Möglichkeit, den Wünschen von Jugendlichen nach aktiver Teilnahme am politischen Geschehen entgegenzukommen“, sagt Thomas Schröder, zuständiger Innenpolitiker in der Grünen-Landtagsfraktion. Der 25jährige Juso Marcus Alwes sieht auch pragmatische Vorteile: „Wer junge Menschen für die Politik gewinnen will, muß sie frühzeitig und an entscheidender Stelle beteiligen.“ Alwes ist sogar für das passive Wahlrecht, nach dem dann auch 16jährige zu Bürgermeistern und Stadträten wählbar wären.

Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) hat nach Aussage seines Regierungssprechers allerdings „eher skeptisch“ auf den Vorschlag reagiert. Eher dagegen sind auch die Innenpolitiker aus der SPD-Landtagsfraktion, so etwa der innenpolitische Sprecher der Landtags-SPD, Siegmar Gabriel. Er lehnt „ein unterschiedliches Wahlalter für Bundes- Landes- und Kommunalebene“ ab, weil die politischen Entscheidungen auf kommunaler Ebene „genauso wichtig“ seien wie die Entscheidungen auf Bundes- oder Landesebene. Der niedersächsische Landeswahlleiter Karl-Ludwig Strehlen faßt die gängigen Argumente zusammen: „In diesem Alter ist man noch nicht geeignet, Verantwortung zu tragen.“

Viele sehen das anders. Ursula Feist, Leiterin Wahlforschung bei Infas Hamburg, glaubt zwar, daß junge Leute vieles in der Politik nicht beurteilen könnten. „Aber es kann nicht das Kriterium sein, daß nur Experten entscheiden. Sonst müßten auch viele Erwachsene einen Wahlführerschein machen.“

„Bei einer 80jährigen, die keine Zeitung mehr liest, fragt doch auch keiner nach, ob sie eigentlich wählen darf oder nicht“, findet der Bielefelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann. „Mit 14 Jahren sind junge Leute religionsmündig und dürfen ein Konto führen, warum sollen sie dann nicht wählen gehen?“. Nach seinen Untersuchungen sind die Jugendlichen politisch fast genauso interessiert — und desinteressiert — wie die Erwachsenen. Allerdings hätten Jugendliche ein „eher gefühliges Verhältnis zur Politik. Sie mißtrauen der Politik, wenn sie apparatehaft, aushandelnd agiert“.

Ein Rückblick: 1972 beispielsweise konnten 18jährige erstmals den Bundestag wählen. Die Volljährigkeit und das Wahlalter waren von 21 auf 18 Jahre abgesenkt worden. Alle Zeichen standen auf Reform. Im April hatte es ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen Kanzler Willy Brandt gegeben. Bei den vorgezogenen Neuwahlen im November konnten die 18jährigen Erstwähler gewissermaßen über Brandts Reformkurs abstimmen – und der sprach vor allem junge Leute an.

Auf einen Sprung zu ihren Gunsten dürften die Sozialdemokraten auch heute noch hoffen: nach einer vom Spiegel in Auftrag gegebenen Umfrage ist immerhin 22 Prozent der Jugendlichen die SPD am sympathischsten, die CDU kam nur auf 16 Prozent.

Geht es ums reine Schielen nach einer neuen Wählerklientel, dürften heute vor allem die Grünen profitieren: ihnen sprachen immerhin 20 Prozent der befragten Jugendlichen ihre Sympathie aus.

Von einer Absenkung des Wahlalters dürfte zwar vor allem das linke Parteienspektrum profitieren, so Feist. Für die Gegenprognose gebe es allerdings auch Argumente: 16jährige seien noch stärker als 18jährige ans Elternhaus gebunden und reproduzierten dessen Meinung. Barbara Dribbusch/Bascha Mika/ Jürgen Voges