Ein Star ohne Namen

Was lange währt ...: „The Making of Lover's Report“ – Die Gruppe Detektor hat Bruchstücke zum Eigentlichen collagiert und zeigt sie im Theatersaal des Tacheles  ■ Von Christine Hohmeyer

Gleich zu Beginn informiert uns ein freundlicher Herr, daß wir auch wieder gehen könnten. Denn falls wir einen kompletten Tanzabend, ein richtiges Theaterstück sehen wollten, dann müsse er uns enttäuschen. Die Gruppe Detektor werde das Stück „Lover's Report“ gar nicht zeigen, sondern nur ein public hearing dazu. Wegen widriger Umstände, you know ...

Ursprünglich sollte es schon eine richtige Geschichte werden, mit Sex and Crime und alldem. Und eigentlich sollte das Stück noch im Sommer 94 gezeigt werden. Doch dann platzte der geplante Aufführungstermin im Tacheles. Die Gruppe flog aus der Förderung der freien Tanzgruppen raus. Was blieb Detektor da anderes übrig, als aus der Not eine Tugend zu machen, statt des ganzen Stücks nur Produktionsreste und Versatzstücke zu zeigen. So entstand „The Making of Lover's Report“, und sicher ist das Surrogat mindestens so gut, wie das Original hätte sein können. Zwei Videoprojektionen, zwei Tänzer, eine Tänzerin und der freundliche Kommentator präsentieren zersplitterte Bilder, die sich bestenfalls im Kopf zusammensetzen.

Zunächst gibt es eine Kamerafahrt in ein Privatgemach. Voyeuristisch folgen unsere Blicke dem Lauf durch Flur und halbgeöffnete Türen hin zu einem – Bett. Natürlich! „You are the Lover“ heißt die Nummer ja auch. Derweil stehen die drei AkteurInnen im Hintergrund der Bühne und treten rhythmisch auf der Stelle. Dann schaltet sich der Komentator ein.

Einzeln bitte an den Bühnenrand treten! Da haben wir Mr. Fix-it, den Repairman (Thomas Lehmen). Er repariert einfach alles. Auch gebrochene Herzen oder eine gebrochene Welt. Dann den Helden (Xavier Le Roy). Auf dem Video sieht er aus wie Adriano Celentano mit einer Kippe im Mundwinkel, echt cool, in Wirklichkeit ist er ein schmächtiger Mann. Und, in der Hauptsache: the actress (die Choreographin Frauke Havemann). Sie hat keinen Namen. Sie ist zwar ein Star, aber ein zweifelhafter. Sie ist body-double und macht all die Dinge, die der richtige Star nicht machen will. Hardcore, Schweinkram. Und weil man mit ihr alles machen kann, wird ihr auch im Hearing keine Intimsphäre gelassen.

Im höflichen Plauderton der Sensationspresse fragt der Kommentator (Chuck MacDaniel) Dinge, die keinen etwas angehen. Wie schmerzhaft ihre Schönheitsoperation gewesen sei. Und wie sei das mit ihren Nippeln. Willfährig antwortet die an beinahe alles gewöhnte Schauspielerin. Erst als der Interviewer auch noch nach ihren Genitalien fragt, gibt es endlich, endlich einen Eklat. Dann gibt es noch einen Mord. Und ein glückliches Paar. Aber das ist nicht wichtig. Aussagekräftig ist nicht der Inhalt, sondern die dreifache Darstellung der Bilder in Video, Choreographie und Kommentar.

Die Videobilder werden in einem magisch beleuchteten Quadrat auf der Bühne nachgestellt und wirken auf einmal lächerlich. Wenn dann der Sprecher grausiges Treiben noch lakonisch kommentiert, wird's manchmal peinlich und brutal. Meistens aber ist das Ganze einfach witzig, eine geistreiche Abrechnung des Regisseurs Mark Thompson mit den unterschiedlichen Realitäten der Medien Film, Tanz/Theater und Sprache.

„The Making of Lover's Report“ zeigt nicht nur, wie eine Story entsteht, sondern fragt auch nach dem Verschwinden der Wahrheit hinter den Bildern. Da paßt eines nicht zum anderen, auch wenn es ums Gleiche geht. Und trotzdem erzählen all diese fragmentarischen Bilder mehr als jede noch so ausgeklügelte Geschichte über Sex, Lügen und Video.

Der einzige Makel des Stückes ist, daß so wenig getanzt wird. Denn wenn Mr. Fix-it Basketball in Zeitlupe tanzt, kann man sich nicht satt sehen, so gut ist das. Aber es gibt gute Aussichten, verkündet der Sprecher: „We meet you tomorrow for further questioning.“

Bis 17.1. und 21.–22. 1., 20.30 Uhr, Tacheles Theatersaal, Oranienburger Straße 53-56a, Mitte