15.000 neue Betten bis 1998

■ Trotz geringer Auslastung werden weiter Hotels hochgezogen / Beliebter werden Standorte in Berliner Außenbezirken / Weitere Konkurrenz durch Brandenburger Umland

Die Branche kriselt. „Zur Zeit“, erzählt Sabine Kalkmann von der Hotel- und Gaststätten-Innung (HoGa), „hofft jeder auf den Aufschwung.“ Die Manager klammern sich an die Prognosen der Experten. 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum werden in diesem Jahr in Berlin erwartet. Aufträge und Ausstrahlung der hiesigen Dienstleister und Industrieunternehmen sollen die Betten wieder warmhalten. 75 Prozent aller Gäste in den 360 Berliner Hotels sind Geschäftsreisende. Die Zeiten, als die Firmen großzügig ihren Angestellten einen Aufenthalt in teuren Hotels spendierten, sind vorbei. Das Ende bürokratischer Mammutmaschinen wie der Treuhandanstalt läßt die Gästeschar in manchen Großhotels schrumpfen. Viele westdeutsche Manager hatten unter der Woche in Hotelsuiten ein Übergangsheim gefunden.

Obwohl im Durchschnitt die Berliner Hotelbetten nur zu 47 Prozent belegt sind – immerhin zehn Prozent über den Zahlen aus dem Bundesgebiet – und der Markt unter Billigangeboten ächzt, wird weiterhin in Hotelneubauten investiert. Zu den 43.000 Betten sollen nach Angaben der HoGa bis zum Jahr 1998 rund 15.000 hinzukommen. „Früher haben sich die großen Veranstalter, etwa bei Großereignissen wie der Internationalen Tourismusbörse, über die fehlenden Übernachtungsmöglichkeiten in Berlin beklagt“, erinnert sich Kalkmann. In den achtziger Jahren erkannte die DDR in der Misere ihre Chance und zog am Gendarmenmarkt und in der Friedrichstraße Nobelhotels hoch. Ausländer und Westdeutsche aus dem Lager des Klassenfeindes sollten geschröpft werden. Die Bauten am Gendarmenmarkt (jetzt Hilton) oder das Grand Hotel (jetzt Maritim) wurden nach der Wende von Ketten übernommen.

Und der Optimismus hält sich weiter: Am Pariser Platz wird mit dem Adlon, das während des Zweiten Weltkrieges schwer beschädigt und danach abgerissen wurde, eine der teuersten Adressen wiedererstehen. In unmittelbarer Nähe, am Potsdamer Platz, plant das US-Unternehmen Hyatt ebenfalls einen Hotelneubau. Ungestüm und chaotisch wird weiter Beton hochgezogen. Dabei gilt in der Branche die Regel: Erst bei fünfzig Prozent Auslastung rentiert sich das Geschäft. Während bei den Pensionen mancher Unternehmer sich selbst an den Empfang stellt, vernetzen sich die Großen. Die Berlin Touristik Marketing GmbH und die an sie angeschlossenen Hoteliers bieten in der schwierigen Jahreszeit Dezember bis Januar ein „Winter Sale“ an, mit Angeboten von rund 77 bis 177 Mark pro Übernachtung und Person. Im vergangenen Sommer konnten die Hotels über ein „Summer Sale“ im Juli und August zusätzliche 14.000 Übernachtungen verkaufen.

Immer mehr zieht es die Investoren in die Stadtrandlage. Im traditionellen Westberliner Hotelbezirk Charlottenburg fehlt es nicht nur an Grundstücken, auch die Kaufpreise für Restflächen sind horrend, die ohnehin alteingesessene Konkurrenz zu stark. So enstehen futuristische Bauten, wo man sie nicht vermuten würde. In Neukölln, einem der dichtbesiedeltsten Stadtteile mit einer hohen Quote an Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen, wird derzeit Deutschlands größte Bettenburg hochgezogen. Das Estrel Residence Hotel in der Sonnenallee soll einmal 1.100 Zimmer und 80 Suiten mit 2.212 Betten beherbergen. „Kurze Wege“ lautet das Motto: Von der Boutique über die Sauna bis hin zum Kongreßzentrum mit einer Kapazität von 1.000 Personen ist alles unter einem Dach. Mit harten Bandagen wird in den Konkurrenzkampf gegangen und zum Preis von zwei Sternen der Luxus eines Vier-Sterne- Services geboten. Für die im ersten Bauabschnitt errichteten 260 Doppel- und Einzelzimmer wird bis Ende Februar mit Billigangeboten von 100 Mark geworben. Bis September wird der Gesamtbau bezugsfertig sein. Große Hoffnung wird auf die Entwicklung des Berliner Südens gesetzt. Inbesondere der Ausbau des Flughafens Schönefeld oder gar ein neues Airport- Kreuz in Sperenberg oder Jüterbog könnten dem Estrel Residence Hotel eines Tages zugute kommen.

Der Optimismus der Branche löst bei Experten Kopfschütteln aus. „Wer soll in den weiteren 15.000 Betten schlafen? Mit dem Regierungsumzug allein wird die Kapazität nicht ausgelastet“, glaubt die Hauptgeschäftsführerin des Gastätten- und Hotelverbandes Brandenburg, Martina Kussmann. Denn außerhalb der Stadt, insbesondere im Gürtel der Ringautobahn, werden neben Supermärkten und Gewerbe auch Hotels auf die grüne Wiese gesetzt. In Potsdam-Land, dem südlichen Berliner Ring, sind nach Angaben des Gaststätten- und Hotelverbandes bis 1998 zusätzliche Hotelneubauten mit 6.400 Betten vorgesehen, in Potsdam-Stadt 2.111, im Gebiet Gransee 4.300 und in östlicher Richtung bei Beeskow 3.600. Insbesondere die Großen siedeln sich an Verkehrsknotenpunkten an. Ein Beispiel ist Rangsdorf: Hier baut der Investor van der Falk direkt an der Autobahn einen Neubau mit rund 400 Zimmern. Der Vorteil erschließt sich durch einen Blick auf die Autokarte: In kürzester Zeit erreicht der Gast über die Stadtautobahn den Flughafen Tempelhof. Severin Weiland