SelbstbeSPIEGELung

„Die Journalisten“ – ein „Spiegel-Special“ über den Medienbetrieb  ■ Von Stephan Ruß-Mohl

Handelt es sich um eine Anklageschrift gegen Oskar Lafontaine oder um eine besonders raffinierte Hochglanzbroschüre, in der der Spiegel für sich selbst Public Relations macht? Während der ersten 25 Seiten habe ich als Leser des neuen Spiegel-Special über „Die Journalisten“ zwischen diesen beiden Möglichkeiten hin- und hergeschwankt: In den vier Stories zu Beginn des Heftes wird der saarländische Ministerpräsident 27mal namentlich erwähnt. Soviel Aufmerksamkeit, liebe Spiegel-Kollegen, hat der Napoleon aus Saarbrücken nun wahrlich nicht verdient, nur weil er im Vorjahr einen unseligen Vorstoß zur Verschärfung des Gegendarstellungsrechts unternommen hat!

Mehr Publizität erhalten in dem Heft weder die beiden größten deutschen Medienkonzerne, Bertelsmann und Kirch, noch irgendeine andere Person oder Institution, die Rang und Namen in der Republik hat – außer einer natürlich, dem Spiegel. Er wird im redaktionellen Teil des Heftes insgesamt 58mal angeführt – freilich so kunstvoll, daß der Leser fast nichts über das neuerdings ja auch schlagzeilenträchtige Nachrichtenmagazin erfährt – außer jener Legende, an der der Spiegel schon seit Jahrzehnten mit viel Erfolg strickt: daß das „Sturmgeschütz der Demokratie“ mit seinen Enthüllungen zur politischen Hygiene in der Bundesrepublik entscheidend beigetragen habe und daß dem Spiegel bislang „seine investigative Marktlücke“ erhalten geblieben sei.

Zwei Drittel aller Journalisten bezögen ihre Information aus dem Spiegel, so der Münsteraner Publizistikwissenschaftler Siegfried Weischenberg, der im Spiegel-Special aus seiner jüngsten Journalistenstudie vor allem Spiegel- Freundliches zitiert: „Deutschlands Journalistinnen und Journalisten sehen den Wochenanfang mit anderen Augen. Der Montag meint es gut mit ihnen, denn dann gibt es Anregungen für die eigene Arbeit.“ Dem „Leithammel aus Hamburg“ hoppelten „viele Angsthasen aus der Provinz“ hinterher, weiß Weischenberg zu berichten. Die Spiegel-Redakteure werden das gerne nachgedruckt haben – zumal andere Medienforscher derzeit weitaus Unangenehmeres zu vermelden haben: Roland Schatz etwa, der mit seinem Branchendienst Medien Monitor flächendeckend die Medienberichterstattung inhaltsanalytisch erfaßt, glaubt zu beobachten, daß der Spiegel zusehends seine Funktion als Leitmedium der öffentlichen Diskussion verliere.

Weischenberg ist im übrigen der einzige Medienforscher, der im Spiegel-Special als Autor zu Wort kommt. Was man beim Spiegel ansonsten von der Publizistikwissenschaft hält, ist dem Heft ebenfalls zu entnehmen: „Jeder Journalist weiß, daß die sogenannte Publizistikwissenschaft mit Journalismus so viel zu tun hat wie etwa Sinologie mit dem Sinai“, gibt Spiegel- Redakteur Wolfram Bickerich in aller Unschuld zum besten. Er beweist damit eindrucksvoll, wie gründlich Spiegel-Journalisten neuerdings recherchieren.

Sein Kollege Cordt Schnibben preist den Spiegel als wohl letztes Bollwerk gegen eine grassierende Pest – den „McJournalismus“, den vor allem ein konkurrierendes Nachrichtenmagazin aus München pflege. Daß der Spiegel immer wieder Enthüllungen besorge, „liegt nicht unbedingt daran, daß er die besseren Journalisten hat, sondern daran, daß er Journalisten ermöglichte, besser zu arbeiten – länger zu recherchieren, länger zu schreiben, wenn's nötig ist“, versichert Schnibben. Ob Übervater Augstein solche Elogen gerne liest? Vielleicht entnimmt er dem eigenen Blatt ja auch mit Freude, daß die Konkurrenz neuerdings „nicht mehr schneller auf den Punkt“ kommt, weil dort „plötzlich lange Artikel und Serien ins Blatt gesetzt und kleine Meldungen, die im Spiegel, wenn überhaupt, auf den Nachrichtenseiten erscheinen würden, zu ganzseitigen Artikeln aufgeblasen“ werden.

Warum Focus das wohl tut? Ob der schlaue Helmut Markwort von allen guten Geistern verlassen ist? Und weshalb andererseits so manche Spiegel-Story neuerdings etwas kürzer ausfallen dürfte als in den guten alten Zeiten? Die Antwort auf solche Fragen ist dem Spiegel-Special leider nicht zu entnehmen. Um sie zu finden, braucht man freilich nur einmal die Heftumfänge der Vorweihnachtsausgaben von Focus (bis zu 370 Seiten) und Spiegel zu vergleichen – und bei einem Klassiker der verpönten Publizistikwissenschaft, bei Karl Bücher, nachzulesen. Ihm zufolge hat ein Presseorgan „den Charakter einer Unternehmung, welche Anzeigenraum als Ware produziert, die nur durch einen redaktionellen Teil absetzbar wird“.

Daß das Spiegel-Special auch lesenswerte Highlights enthält, soll nicht unterschlagen werden. So räsoniert Klaus Bresser klug darüber, weshalb er Infotainment für ein „Mogelwort“ hält; Michael Sontheimer seziert die Bild-Zeitung; Jürgen Leinemann zeichnet die komplizenhaften Verstrickungen zwischen Politikern und Journalisten im Raumschiff Bonn nach; Peter Glotz, Erich Wiedemann und Stefan Storz führen am Beispiel der Kriege am Golf und in Bosnien vor, wie Militärs und PR- Strategen die Berichterstattung der Medien manipulieren. Und Christoph Scheuring beschreibt den TV-Nachrichtenjäger Wolfgang Wiebold, der mit BMW und Videokamera quer durch das Ruhrgebiet von einem Katastropheneinsatz zum nächsten brettert, um die Fernsehsender mit bluttriefendem Nachrichtenmaterial zu versorgen. Solche Stories gehen nicht nur unter die Haut, sie tragen auch dazu bei, den Journalismus transparenter zu machen.

„Unterdrückte Nachrichten“, so der soeben geschaßte Chefredakteur Hans Werner Kilz im Special, „sind allemal gefährlicher als voreilige, leichtfertige, geschmacklose oder gar falsche. Alle letztgenannten sind zu korrigieren, nicht veröffentlichte aber sind verloren.“ Wie recht er hat!

Nur, wann korrigieren sich bei uns schon Medien freiwillig, weil sie Falsches berichtet haben? Und welche Nachrichten „unterdrückt“ das Spiegel-Special? Zumindest ist zu wenig davon die Rede, daß es nicht nur für stramme Konservative oder machtbewußte Politiker wie Lafontaine gelegentlich Anlaß gibt, über den Mißbrauch von Pressefreiheit nachzudenken. Beharrlich ignoriert das Spiegel- Special spannende und praxisrelevante Forschungsergebnisse – etwa zur Fehlerhaftigkeit journalistischer Berichterstattung oder auch zur Fernsteuerung des Journalismus durch Öffentlichkeitsarbeit im Alltagsgeschäft.

Last not least ist im Spiegel- Special natürlich nicht zu erfahren, daß nicht nur Bild und die Yellow press sündigen, sondern auch der Spiegel. Zuletzt wurde er übrigens vom Deutschen Presserat mißbilligt, weil er einen Leserbrief so verstümmelt hatte, daß sich – welch hohe Kunst des McJournalismus in seiner Hamburger Spielart – von einer langen, kritischen Stellungnahme zu Augstein nur noch eine Ergebenheitsadresse im Blatt wiederfand.

Stephan Ruß-Mohl ist Professor am Institut für Publizistik und Kommunikationspolitik der FU Berlin