Kleinzellige Angelegenheiten

Wer soll die große DDR-Geschichte verfilmen? „Abschied von Agnes“ interpretiert das Verhältnis Stasi–Opfer als Beziehungskiste. Kurzkritik und ein Gespräch mit Regisseur und Schauspieler Michael Gwisdek  ■ Von Anke Westphal

Was das Thema Stasi anbelangt, ist eines klar: Die Leute haben es reichlich satt, das Spiel „IM“. „Abschied von Agnes“ wird es aus diesem Grund schwer haben, und das ist schade, denn in keinem aktuellen deutschen Film sind die Vorzüge und Nachteile einer „ost-typischen“ Regie und Schauspielkunst noch so präsent wie in diesem. Der 1942 geborene und DDR-sozialisierten Menschen bestens bekannte Michael Gwisdek übernahm Buch, Regie und eine der Hauptrollen, und wegen dieses letzthin erwähnten Umstands sollte man sich „Abschied von Agnes“ auch antun. Gwisdek ist und bleibt ein exzellenter Schauspieler.

„Abschied von Agnes“ intoniert den grau-braunen Blues. Berlin 1993. Heiner, ein arbeitsloser Wissenschaftler, diktiert sein wirres Leben in den Kassettenrekorder. Agnes, seine Frau, ist tot, er selbst balanciert knapp am Rande psychiatriebedürftiger Verwirrtheit. Straßenbahnen donnern wie durch ihn hindurch. Heiner macht „nichts“ und hört in sich hinein. Sein erster Satz im Film lautet „Das ist ja alles furchtbar“, und der Verkäuferin im Laden an der Ecke teilt er seltsame Weisheiten mit. Eines Tages steht Stefan, ein von den Medien gejagter Stasi-Major, in Heiners Wohnung. Der einsame Heiner hängt sein Leben an Stefan auf wie an einem neuen Haken. Er kauft für beide ein, serviert Stefan heiße Würstchen, installiert ihn naiv als Bezugsperson. Für den Akten-kundigen Stefan ist Heiner ein alter Bekannter, den er in alter Funktion unterwerfen will. Ein tragikomisches Psychodrama beginnt. Heiner ist eine Karikatur des Opfers, Stefan allerdings keine eines Täters. Beide haben sich ihre Vergangenheiten zurechtgelegt.

Gwisdeks Lesart der zeithistorischen Folie mündet in der Überhöhung. Groteske trifft auf Kammerspiel, wenn der bestinformierte Stefan dem impotenten Nervenbündel Heiner eine Mulattin ans Bett setzt. Wer die DDR nicht als völlig dumpfer Jasager durchlebt hat, begreift den gruseligen Realismus der Szene. Es ist ein unbedingter Vorteil dieses Films, daß er kein angenehm konsumierbares Katz-und-Maus- Spiel bietet, sondern den Valse triste am Prinzip der gegenseitigen Abhängigkeit aufzäumt und trotzdem voller komischer Anspielungen („Psycho“) steckt. Es ist sein Nachteil, daß er mit albern symbolischer Musik arbeitet und in der Psychologisierung steckenbleibt. Das Verhängnis ist, keiner hat schuld.

taz: „Abschied von Agnes“ lief auf der Berlinale '94 und kommt erst jetzt in die Kinos. Warum?

Gwisdek: Das ist eine unselige Geschichte. Ich habe die Regie für den Film acht Tage vor Drehbeginn übernommen und nachts das Buch umgeschrieben, weil der Regisseur Uli Weiß krank wurde. Damals stand die Alternative, alle Mann nach Hause und pleite. Wir hatten 700.000 Mark, acht Tage Zeit und fingen einfach an zu drehen. Dann wurde der Film kurz vor der Berlinale fertig und fand dort ein ziemlich sensationelles Echo. Ungeheurer Medienrummel. Der Film lief dann auch in Cannes...

Warum war das mit dem Verleih dann so schwierig?

Jeder Verleih bietet andere Bedingungen. Viele nehmen einen Film ohne die Fernsehrechte gar nicht erst auf. Bis heute kenne ich die Startbedingungen für „Abschied von Agnes“, Zahl der Kopien etc. nicht. Ich habe 60 oder 70 Filme gemacht. Um den Verleih kann ich mich nicht auch noch kümmern. Ich hatte es wirklich satt.

Das war ja nicht Ihre erste Regiearbeit. Ich denke da an „Treffen in Travers“...

Mir gefällt so eine Woody-Allen-Personalunion. Aber dieses überstürzte Koppeln von Regie und Hauptrolle in „Abschied von Agnes“ hatte wohl katastrophale Folgen. Ich habe erst jetzt meinen ersten eigenständigen Film geschrieben, mit meiner Frau Corinna Harfouch und mir in den Hauptrollen, eine Rosenkriegs- Geschichte aus dem vereinigten Deutschland. Titel: „Ein Mann und eine Frau kaufen ein Haus“.

Platte Frage: Wird das der lang erwartete Wendefilm?

Nee. Davon würde ich die Hände lassen...

Warum?

Zu großer Anspruch. „Abschied von Agnes“ geht auf eine Erzählung von Hans Löffler zurück. Dessen Alpträume eines von der Stasi verfolgten Mannes hätten in großen Bildern realisiert werden müssen. Das ging nicht, weil zu wenig Geld da war. So habe ich die Grundsituation variiert: Zwei Männer eingeschlossen in einer Wohnung, Psychodrama.

Das Ganze hat also nichts mit Ihrem Leben zu tun?

Nee, gar nichts. Ich habe den Stoff nur aus Freundschaft zu Uli Weiß, der für uns ja der „Godard des Ostens“ war, adaptiert. Wenn Uli fragt: „Spielst du bei mir“, dann guck ich gar nicht erst ins Drehbuch und sag „Klar!“. Aber als ich „Abschied von Agnes“ las, wußte ich auch nicht, was er da machen will. Deswegen hab ich umgeschrieben.

Empfinden Sie den Film als halbe Sache?

Ein Film ist immer ein Kompromiß. Ich stehe hundertprozentig zu „Abschied von Agnes“, obwohl mir die Stasi-Debatte auf die Nerven geht. Sie wird nicht differenziert genug geführt. Es heißt immer nur „Eins, zwei, drei, wer war IM?“ und alles andere ist scheißegal.

Wie würden Sie die Debatte führen?

Dazu kommt noch ein Film von mir, das verspreche ich. Was mich an „Abschied von Agnes“ grundsätzlich interessierte, war der ganz primitive Punkt, daß man von sich selbst und dem eigenen Leben eine Ansicht hat, und daß es dann eine Institution gibt, die einen beurteilt. Entweder man nimmt das an oder sieht das völlig anders. Christa Wolf beleidigte die Art, wie sie von der Stasi charakterlich beurteilt wurde, viel mehr als das Outing. Uli Weiß sah sich als Revolutionär. Er ist an der Enttäuschung über seine Akte zerbrochen. Bei der Stasi waren militante Profis am Werk, die zutiefst intime Vorlieben verdateten. Ich habe mich in „Abschied von Agnes“ auf diese sexuelle Seite kapriziert, weil die das Leben nun mal grundsätzlich beeinflußt.

Aber warum spielt sich die deutsch-deutsche Problematik vornehmlich in Fernsehserien und Komödien ab?

Wer heutzutage einen Film macht, will beim Publikum landen, in der Art von Detlev Buck oder Sönke Wortmann. Bei Wim Wenders geht kaum noch einer ins Kino. Wer soll denn die große Ex- DDR-Thematik übernehmen? Etwa Margarethe von Trotta mit „Das Versprechen“, wo sie nicht mal bei der Maueröffnung dabei war?

Glauben Sie, daß „Abschied von Agnes“ komplexe Aufarbeitung leistet?

Nee, überhaupt nicht. Meine Sache sind die kleinzelligen Angelegenheiten – Beziehungskisten. Wie die zwischen den beiden Männern. Es gibt ja auch kein großes Buch über '89 und danach, das man verfilmen könnte. Verdrängung erfolgt offenbar biologisch.

Ich werde das Interview kürzen müssen...

Wieso? Die taz hat doch viele Seiten, da können Sie ruhig fünf vollschreiben. Sonst gibt's ja wieder keine Komplexität.

„Abschied von Agnes“. Regie: Michael Gwisdek. Mit Michael Gwisdek, Sylvester Groth, Heide Kipp, Lothar Trolle. BRD 1994, 97 Minuten.