■ Das Portrait: Yașar Kemal
Die Bücher des 72jährigen Yașar Kemal werden weltweit millionenfach verkauft. In seiner türkischen Heimat ist der Romancier vielfach in die Mühlen der politischen Justiz geraten. Bereits 1950 wurde er nach dem berüchtigten Paragraphen 142, der dem Strafrecht des faschistischen Italien entlehnt, kommunistische und seperatistische Propaganda unter Strafe stellte, verurteilt. Heute ist der Paragraph abgeschafft. Doch das „Gesetz zur Terrorismusbekämpfung“ hat seine Nachfolge angetreten. Wegen eines in der letzten Ausgabe des deutschen Spiegel veröffentlichten Essays, das die Verfolgung der Kurden anklagt, hat die Staatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichts Istanbul ein Ermittlungsverfahren begonnen. Zwischen zwei und fünf Jahren Gefängnis drohen dem Autor.
Yașar Kemal genoß, ebenso wie der Schriftsteller Aziz Nesin, seit einigen Jahren eine Art Unantastbarkeit. Heute ist es damit vorbei. Auch die Großen der türkischen Literatur kommen wie kritische Gewerkschafter, Journalisten oder Wissenschaftler, die sich kritisch mit dem Krieg in Kurdistan auseinandersetzen, vor den Kadi. Türkische Zeitungen berichteten, daß Ministerpräsidentin Tansu Çiller Yașar Kemal als „Strolch“ bezeichnet habe.
Türkischer Literat Foto: Horst Trapel,
Ullstein Bilderdienst
Yașar Kemal sind die Leiden der anatolischen Völker nicht fremd ist. Er wurde in einem Dorf der südöstlichen Provinz Adana geboren. Sein Vater wurde ermordet, als der Sohn fünf Jahre alt war. Das Motiv für den Mord war Blutrache.
Aufgrund eines Unfalls erblindete Yașar Kemals rechtes Auge. Auf den Baumwollplantagen Adanas, wo Grundbesitzer erbarmungslos das Landproletariat ausbeuten, ist er groß geworden. In einem seiner berühmtesten Romane, „Mehmed, mein Falke“, ist des arme Mehmed Held und zugleich Symbolfigur des anatolischen Menschen. Der Unterdrückung leid, tötet er einen verhaßten Grundbesitzer und flieht in die Berge.
Einst kritisierten radikale Kurden den kurdischstämmige Kemal als „assimilierten“ Literaten. Richtig ist, daß Yașar Kemal – und die ethnische Herkunft spielt dabei keine Rolle – einer der Großen der türkischen Sprache und Literatur ist. Der Vorwurf, daß er die Unterdrückung und das Leiden des kurdischen Volkes vergessen habe, ist widersinnig. Dies haben nun selbst die Staatsanwälte des Staatssicherheitsgerichts erkannt. Ömer Erzeren
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen