Vom Vogel zur Fuchsie

■ Zwei Beamte mit Leidenschaft: Die exotischen Züchtungen des Ehepaars Schulz

Wer ohnehin gefährdet ist, den erwischt es bei der harmlosesten Gelegenheit. Sogar im Botanischen Garten. Der lebendige Beweis heißt Schulz. „Fuchsie“ der Virus, den das Ehepaar aus Syke seit acht Jahren mit sich herumträgt. Damals verfielen die beiden einer feurig-orangen Blüte. Seitdem bestimmen natürliche Zyklen, Saat und Ernte, das Leben des Rechtspfleger-Ehepaares. „So eine Pracht hatten wir im Leben noch nicht gesehn“, erinnert sich Gisela Schulz an den Tag, der ihr Leben umkrempelte: Kaum aus dem Bremer Pflanzengarten zurück in Syke, wurde die stattliche Voliere im Garten des Eigenheims abgerissen. Einem Gewächshaus folgte bald ein zweites. An die Stelle exotischer Vogelzucht trat – die Fuchsie.

„Es war wohl auch an der Zeit“, sagt Erwin Schulz rückblickend. Denn amtlich bestellte Artenschützer waren bei seinen Papageienvögeln so oft vorbeigekommen, wie sonst nur einheimische Birkenhähnchen zur besten Paarungszeit: Beim Eierlegen, beim Brüten und beim Schlüpfen, die Piepmätze hatten kaum noch Ruhe. Ebensowenig der Halter. Da bot die Blumenschaufel dem Vogelliebhaber und Hobbyzüchter einen Ausweg – und keinen schlechten, wie er heute sagt: „Glauben Sie nicht, Pflanzen wären weniger lebendig als Vögel.“

Den züchterischen Sprung vom Ei zum Samenkorn verkraftete der mittlerweile pensionierte Beamte mühelos. Und auch Gisela Schulz genießt den Blick über einen Fuchsiengarten allemal mehr, als den Anblick federloser Kanarienbrut. Außerdem: exotisch ist das neue Hobby der Schulzens immernoch. Und das nicht nur, weil im gesamten norddeutschen Raum der harte Kern von Gleichgesinnten kaum 20 Personen ausmacht, die Mehrzahl von Schulzens „selbst infiziert“.

Exotik liegt vor allem in der Herkunft der Pflanze: Fuchsien sind in Südamerika und Neuseeland heimisch; zu Beginn des frühen 18. Jahrhunderts hielten sie in der Alten Welt Einzug, zuerst als Zeichnung, dann im Samensäckchen. Bis heute kennt man nicht mehr als 100 wilde Sorten. Sie alle tragen denselben Familiennamen, den ihnen ein Botaniker namens Fuchs verpaßte. Er beschrieb die Nachtkerzengewächse erstmalig.

Das Beschreiben der Sorten gehört heute noch zum Handwerk. Frau Schulz verwaltet den gesamten Bestand inklusive Fotonachweis im eigens angeschafften Computer: „Damit wir immer wissen, welche Pflanze wir vor uns haben.“ Denn zur Blütezeit im Sommer, wenn die Schulzens mit 50 Gleichgesinnten aus der ganzen Republik einen „Tag der offenen Tür“ begehen, bevölkern rund 1000 Fuchsien in 500 verschiedene Züchtungen den Garten. Gute zehn Prozent davon, ungefähr 60 Sorten, hat das Ehepaar Schulz selbst zusammengemixt und den Stammbaum jeder Neuzüchtung im Computer verzeichnet. Darunter auch den „Roland von Bremen“. Und den „Bremer Freimarkt“, die Fuchsie, deren knubbelige Knospe mit den abstehenden Blättern wie ein Karussel im Wind steht. Innensenator Friedrich van Nispen taufte sie im letzten Herbst.

Jahrelange Feinarbeit mit dem Pinsel geht solch einer Feier voran. Das ist Erwin Schulzens Ressort: Mit dem Pinsel spielt er Biene, bestäubt die Pflanzen hin und her. Dann müssen die Blüten in Quarantäne, unter Alufolie, damit nicht noch eine echte Biene unkontrolliert dazwischenfunkt. Kaum fällt der Same, wird er gezogen. Solange, bis sich die gewünschten Merkmale einer neuen Züchtung durchsetzen. Die knallig bunten, üppig großen Blüten sind dem Syker Hobbyzüchter die liebsten. Aber auch von den anderen trennt er sich nur schwer. Erst wenn seine Frau rät, „tu die weg“, geht das Pflänzchen an befreundete Infizierte. Denn Fuchsienliebhaber sind Schenker. „Da dürfen Sie nie sagen, daß ihnen eine Pflanze gefällt, sonst haben Sie die.“

Diese Großzügigkeit hat Erwin Schulz sogar geholfen, „das typische Sicherheitsdenken eines deutschen Beamten“ abzulegen: Heute muß er nicht mehr immer zwei Pflanzen von einer Sorte aufbewahren, aus Angst davor, daß eine kaputt gehen könnte. Heute sagt er: „Wenn eine Pflanze eingeht, bekomme ich eben Platz für neue“. Nur allmittäglich, wenn das Ehepaar Schulz sich aus einem seiner 450 Pflanzenbücher vorliest, hängt ein Hauch deutsche Gründlichkeit über ihrer Leidenschaft.

Eva Rhode