Ein befreiendes Gefühl der Endgültigkeit Von Ralf Sotscheck

Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. „Was ist denn das?“ fragte er belustigt und deutete auf meinen Computer. „Damit arbeitest du? Das Ding gehört doch längst ins Technikmuseum! Und das Textverarbeitungssystem gleich dazu!“ Ich war es gewohnt, wegen meines betagten Modells von Computer-Freaks gehänselt zu werden. Als elektronischer Analphabet war ich jedoch froh, daß ich mich mit meinem Gerät verstand, weil wir beide nachsichtig über die Mängel des anderen hinwegsahen.

Dann kam der Tag, an dem mir mein Freund Stephan R. während meines Berlin-Urlaubs ein wuchtiges, aber dennoch irgendwie elegantes Gerät mit schnittigem Bildschirm vorstellte. „Gar nicht teuer“, raunte er mir zu. „Größer, schneller, einfacher und augenschonender als dein Fossil, und noch dazu zwei Laufwerke.“ Zwischen Weinkisten transportierte ich das Megagerät im Auto nach Dublin. Zu Hause deckte ich den alten Computer wie einen Kanarienvogelkäfig ab, um ihn nicht zu kränken. Als ich das neue Gerät einschaltete, machte es zwar einen Höllenlärm, doch sonst tat sich nichts. Nach einem halbstündigen Telefongespräch mit Stephan R. in Berlin lautete die Diagnose: Festplatte hinüber. Fünf Wochen später traf eine Ersatzplatte ein. Die Einbauanleitung holte ich mir telefonisch.

Der Versuch, meinen ersten Text, der auf dem neuen Gerät entstanden war, auf eine Diskette zu übertragen, sollte laut Bedienungsanleitung ein Kinderspiel sein – und in der Tat: Es ging ruck, zuck. „Eine Datei erfolgreich kopiert“, posaunte der Computer. Er log. Der Text kam nie auf der Diskette an. Vor dem erneuten Versuch formatierte ich vorsichtshalber die Diskette, da sie nur eine alte, unwichtige Datei enthielt. „Erfolgreich formatiert“, wog mich das heimtückische Gerät in Sicherheit. Nach der erneuten Übertragung der Datei kam abermals die Vollzugsmeldung. Das war schon wieder geflunkert. Statt dessen war die alte Datei wieder da. „Das ist unmöglich“, diagnostizierte Stephan R. am Telefon. Er hielt mich ohnehin für einen Versager, dem man technische Geräte nur im Notfall anvertrauen sollte. Dennoch schickte er ein neues Laufwerk – offenbar den Zwillingsbruder des alten Teils. Jedenfalls benahm es sich genauso. „Tja“, erklärte Stephan beim erneuten Anruf, „bei dieser Art von Prozessor ist der Centronics Buffer bei bestimmten FS-Sequenzen wegen der Slave-MPU nicht mit dem Parity Bit im ROM kompatibel.“ Oder so ähnlich. Genausogut hätte er mir ein chinesisches Volkslied vorsingen können.

Als die angeblich so moderne Elektrokiste schließlich immer gehässiger wurde, hatte ich die Nase voll. Machte man einen Fehler, zeigte er nämlich beinahe triumphierend an: „Fataler Irrtum!“ Inzwischen steht das Teufelsgerät neben den defekten Festplatten und Laufwerken auf dem Dachboden und korrodiert vor sich hin. Als die gigantische Telefonrechnung kam, schnitt ich ihm aus Rache auch noch den Netzstecker ab. Man mag das für kleinlich halten, doch es war ein befreiendes Gefühl der Endgültigkeit. Zum Glück ist der alte Computer nicht nachtragend. Als ich ihm das Kanarientuch abnahm und ihn wieder einschaltete, fragte er höflich wie zuvor: „Sie wünschen bitte?“