Eklatante Verletzung der Menschenrechte

■ betr.: „USA: Hinrichtung“, taz vom 5. 1. 95

Die Hinrichtung eines wegen Mordes verurteilten US-Amerikaners, an dessen Schuld große Zweifel bestehen, war den MacherInnen der taz – mensch faßt es nicht – eine mickrige Elfeinhalb-Zeilen- Meldung wert. Irgendwem müssen da in der Redaktion die Wertmaßstäbe durcheinandergeraten sein.

Daß die Regierung des angeblich freiesten Landes der Welt an der Schwelle zum 21. Jahrhundert offenkundig wild entschlossen ist, Weltmeister beim Exekutieren der eigenen Bevölkerung zu werden, scheint kein Thema zu sein.

Dabei ist die Todesstrafe ebenso wie die Folter, die seltsamerweise auch von Hinrichtungsbefürwortern abgelehnt wird, ein Eingriff des Staates in die unverletzlichen Rechte des einzelnen, verstößt somit klar gegen die allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“ (Artikel 3) und „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden“ (Artikel 5).

Nichtsdestotrotz werden in „god's own country“ bis auf den heutigen Tag verurteilte StraftäterInnen, denen das „gesunde Volksempfinden“ das Recht auf Leben abspricht, gehängt, vergast, zu Tode gespritzt oder auf den elektrischen Stuhl geschickt. Nach einem verfassungsrechtlichen Urteil des Obersten Gerichtshofes ist es sogar mit dem Gesetz vereinbar, daß Jugendliche unter 18 Jahren und geistig zurückgebliebene Menschen hingerichtet werden. Und den meisten bedauernswerten Opfern des US-amerikanischen Rechtssystems steht keine engagierte AnwältIn zur Verfügung, um ein gerechtes Verfahren zu erstreiten. Mehr als 2.800 Verurteilte sitzen in US-amerikanischen Todeszellen, ein Teil nur, weil diese Menschen es sich nicht leisten können, gegen ungerechtfertigte Anklagen oder Verfahrensfehler juristisch vorzugehen. Geschähe das, was in den USA TodesstrafenkandidatInnen angetan wird, in einem Land der „Dritten Welt“, wir würden es eine eklatante Verletzung der Menschenrechte nennen. Uwe Tünnermann, Lemgo