: Schlammschlacht mit dunklen Motiven
Die Tochter von Malcolm X und der Mordplan gegen Louis Farrakhan – eine Geschichte, in der nichts stimmen muß und alles wahr sein könnte / Welche Rolle spielt das FBI? ■ Aus Washington Andrea Böhm
Die Geschichte enthält alle Ingredienzen für drittklassige Romanschreiber – oder Verschwörungstheoretiker: eine radikal-pathetische politische Splittergruppe; einen angeblichen Mordversuch; einen zwielichtigen V-Mann; ein höchst spekulatives Mordmotiv; sowie den längst kommerzialisierten Namen eines politischen Helden und Märtyrers.
Noch sind die Fakten äußerst dünn, doch den US-Medien waren sie am Wochenende Schlagzeilen wert: Qubilah Bahiyah Shabazz, zweitälteste Tochter des 1965 ermordeten Malcolm X, soll nach Angaben eines FBI-Informanten geplant haben, den Führer der „Nation of Islam“, Louis Farrakhan, ermorden zu lassen. Gegen die 34jährige Shabazz wurde am letzten Donnerstag in Minneapolis, im US-Bundesstaat Minnesota, die Anklage verlesen. Sie bleibt bis auf weiteres gegen Kaution auf freiem Fuß. Im Falle einer Verurteilung droht ihr eine Gefängnisstrafe von bis zu 90 Jahren. Als Motiv soll offenbar auch geltend gemacht werden: Qubilah Shabazz war vier Jahre alt, als ihr Vater im Februar 1965 in Harlem vor ihren Augen von Attentätern erschossen wurde. Zwei gehörten der „Nation of Islam“ an, von der sich Malcolm X zuvor losgesagt hatte. Seine Familie ist bis heute überzeugt, daß Louis Farrakhan als treuer Gefolgsmann des damaligen Führers Elijah Muhammad für den Mord maßgeblich mitverantwortlich war.
Das angebliche Opfer ließ am Freitag durch seinen „Stabschef“ Leonard Muhammad im Hauptquartier der „Nation of Islam“ in Chicago verlauten, er glaube an eine größere Verschwörung durch die US-Regierung zur Spaltung der „Nation of Islam“ und der Familie von Malcolm X, in der die Tochter Malcolms nur ein „ganz kleines Rädchen“ sei.
Nun gehören Verschwörungstheorien zum Markenzeichen der „Nation of Islam“, doch in diesem Fall bieten Informationen über den V-Mann genügend Anlaß für Spekulationen aller Art. Nach Angaben aus Kreisen der Verteidigung für Shabazz, so berichtete die New York Times am Samstag, handelt es sich um den 34jährigen Michael Fitzpatrick, einen ehemaligen Schulkameraden von Qubilah Bahiyah Shabazz. Fitzpatrick gehörte in den siebziger Jahren der extremistischen „Jewish Defense Leage“ (JDL) an und wurde 1977 in Zusammenhang mit einem Bombenanschlag auf einen sowjetischen Buchladen festgenommen. Ein Jahr später agierte er erstmals als V-Mann des FBI und ließ ein geplantes Bombenattentat der JDL auf ein ägyptisches Reisebüro auffliegen. Daraufhin wurde ihm im Rahmen des Bundesprogramms zum Schutz von Zeugen eine neue Identität verschafft. 1993 geriet er jedoch der Polizei in Minneapolis bei einer Drogenrazzia in die Hände, in deren Verlauf er versuchte, ein Tablett mit Kokain ins Klo zu befördern. Fitzpatrick soll nun jener Mann sein, den Shabazz bereits im Sommer letzten Jahres angeblich als Killer gegen Farrakhan anheuern wollte. Nach Angaben ihres Verteidigers habe Fitzpatrick von Beginn an als V-Mann für das FBI agiert und seine Mandantin „in eine Falle gelockt“. Darüber zu befinden obliegt nun einem Geschworenengericht in Minneapolis.
Fest steht, daß nicht nur der unendlichen Geschichte um die Ermordung von Malcolm X ein weiteres Kapitel hinzugefügt worden ist. Innerhalb der afroamerikanischen Community wird auch das langgehegte Mißtrauen und die oft unverhohlene Wut gegen das FBI und seine unendliche Geschichte von verdeckten Aktionen gegen politische Führungspersönlichkeiten der Schwarzen zum Ausdruck gebracht. Er sei wahrlich kein Anhänger von Verschwörungstheorien, erklärte Michael Eric Dyson, Professor an der „University of North Carolina“ und Autor eines Buches über Malcolm X, in der Washington Post. Doch könne er den jüngsten „Fahndungserfolg“ des FBI nicht von der langen Kette polizeilicher Aktionen gegen schwarze Bewegungen trennen, fügte er hinzu: „Sie haben überwacht, infiltriert und Führer von Paul Robeson bis Jesse Jackson denunziert.“
Was Dyson wie viele andere Schwarze zudem mit einem resignativen Sarkasmus erfüllt, ist der Umstand, daß sich ausgerechnet Louis Farrakhan, dessen antisemitische und homophobe Haßtiraden immer wieder Schlagzeilen machen, nun eine prominente Opferrolle einnehmen kann. „Es ist schon eine besondere Ironie, daß ausgerechnet die Behörde, die schwarze Persönlichkeiten so in den Dreck gezogen hat, jetzt aufsteht, um die am meisten verachtete Figur in der afroamerikanischen Gesellschaft zu schützen.“
All diese Debatten erlangen am heutigen Montag noch einen besonders bitteren Beigeschmack. Heute ist „Martin-Luther-King- Day“ in den USA – der Feiertag zu Ehren eines anderen Führers der Afroamerikaner, dessen Ermordung in den Augen vieler, nicht nur schwarzer Amerikaner, immer noch nicht aufgeklärt ist.
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