Die Kosten des Krieges

Im russischen Haushaltsentwurf tauchen die Kosten für den Tschetschnien-Feldzug nicht auf / IWF-Kredite sind gefährdet  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Vertreter des offiziellen Moskau sind dieser Tage auffallend bemüht, die ökonomischen Folgen des kaukasischen Vernichtungsfeldzugs herunterzuspielen. Gefahren für die gesamtwirtschaftliche Stabilität und die Einhaltung des beabsichtigten Sparkurses 1995 bestehen nicht, so der einhellige Tenor. Im Interview mit der Tageszeitung Iswestija meinte Vizepremier Anatolij Tschubais, die Ereignisse in Tschetschenien seien zwar tragisch, aber wirtschaftlich nicht sehr bedeutend. Man könne darüber streiten, ob die Kosten vier oder fünf Billionen Rubel ausmachten: „Das ist ein halbes Prozent des Bruttosozialproduktes.“ Selbst bei einem Prozent hätte das keine qualitativen Konsequenzen für den Haushalt, so Tschubais, einer der letzten Reformer im Kabinett und bis November Privatisierungsminister. Der Zeitung Sewodnja zufolge geht der Kreml selbst in inoffiziellen Berechnungen von mindestens 15 Billionen Rubel (vier Milliarden US-Dollar) aus. Allein die Wiederherstellung zerstörter Infrastruktur schluckt voraussichtlich zehn Billionen Rubel, während die militärische Operation um die fünf Billionen kostet. Unabhängige Kalkulationen kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

Wirtschaftsminister Jewgenij Jassin kündigte an, das Budget für 1995 werde neu überschlagen, um Tschetschenien miteinzubeziehen. Das anvisierte Gesamtdefizit solle aber keinesfalls überzogen werden. Das Wirtschaftsministerium geht bei den Folgekosten für die Infrastruktur von lediglich 3,1 Billionen aus. Die Summe scheint außerordentlich niedrig angesichts der völlig zerstörten Stadt Grosny und ihrer Schlüsselindustrien. Angeblich konnte der Krieg bisher aus einem Sonderfonds der Sicherheitsministerien finanziert werden, ohne den Staatshaushalt zusätzlich zu belasten. Darüber sind Zweifel mehr als angebracht. Der neue Haushaltsentwurf des Finanzministeriums vom Ende letzter Woche erwähnt aber seltsamerweise die Kosten des Krieges mit keinem Wort. 160 Billionen Rubel Einnahmen stehen Ausgaben von 230 Billionen gegenüber.

Die Möglichkeit allerdings, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank könnten die insgesamt 12 Milliarden Dollar Kredite für das laufende Jahr einfrieren, rief Beunruhigung hervor. „Das zu tun, bedeutete zu zerstören, was drei bis vier Jahre sorgfältiger Arbeit gekostet hat. Es wäre ein schwerer Fehler“, verlautete aus dem Umkreis des Präsidenten. Die Kredite sollten ein Haushaltsloch von 7,7 Prozent des Bruttosozialprodukts überbrücken. Ohne die Gelder werde die monatliche Inflation mit Jahresende 30 Prozent erreichen, prognostizieren Analytiker in der Regierung. Angepeilt hatte die russische Zentralbank dagegen eine Inflationsrate zwischen zwei und drei Prozent. Schon im letzten Monat lag die Inflation bei mehr als 16 Prozent.

Die Anzeichen mehren sich, daß der IWF bei den heute geplanten Gesprächen über die Kreditvergabe eine Vereinbarung verzögert. Die zulässigen sieben Prozent Defizit wurden um etwa zwei Prozent überschritten – eine ausreichende Handhabe, um die Gelder zu sperren. Zudem erhielt Moskau zwischenzeitlich zweimal außerplanmäßige Spritzen in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar, weitere Tranchen sind nicht erlaubt. Eine Kettenreaktion bräche los: Kommt man mit dem IWF zu keiner Einigung, dürften auch die Umschuldungsverhandlungen ausgesetzt werden. Russische Schuldenzertifikate im Ausland haben in der vergangenen Woche die Hälfte ihres Wertes verloren. Sollten die Kredite ausbleiben, scheitert auch das Vorhaben, einen Teil der Kriegskosten über Staatsanleihen zu decken.

Für erhebliche Beunruhigung sorgte auch die staatliche Privatisierungsbehörde, der mit Wladimir Polewanow seit November ein Hardliner vorsteht. Er ordnete an, westliche Berater und Investoren hätten keinen Zugang mehr zum Hauptquartier der Behörde. Polewanow gilt als Antiwestler, der den „Ausverkauf“ russischer Unternehmen befürchtet. Kürzlich forderte er, die „Renationalisierung fälschlich privatisiserter Industrien“. Ausländische Investitionen, besonders in der Aluminium- und Rüstungsindustrie, „bedrohen die nationale Sicherheit des Landes“. Mehrere Mitarbeiter haben ihren Rücktritt eingereicht, und Premier Tschernomyrdin unterstellte die Behörde direkt Anatolij Tschubais, um ein weiteres Desaster zu verhindern. Bis auf den Tag sind Rußland dadurch – so Tschubais – Millionenbeträge verloren gegangen. Das Investitionsklima ist frostig, doch ohne ausländisches Kapital und Know how kommt Mütterchen Rußland nicht mehr zu Kräften. Dummheit regiert.