„Wie die Verrückten“

■ Dauerbeschuß Grosnys / Die SPD kritisiert Bonner Tschetschenienpolitik

Grosny/Bonn (AFP/dpa) – Den russischen Truppen ist es auch am Wochenende immer noch nicht gelungen, den Präsidentenpalast in Grosny einzunehmen. Der Amtssitz von Präsident Dschochar Dudajew und das gesamte Stadtzentrum lagen am Sonntag zwar unter pausenlosem Artillerie- und Raketenbeschuß. Bedeutende Erfolge erzielten die Russen nach tschetschenischer Darstellung jedoch nicht. Der 37jährige Freischärler Oleg Subairajew sagte nach seiner Rückkehr von der Front: „Sie bombardieren seit zwei Tagen wie die Verrückten, aber sie kommen nicht voran.“

Tschetschenische Kommandeure räumten jedoch ein, daß russische Soldaten am Samstag kurzfristig das Parlamentsgebäude gegenüber dem Präsidentenpalast einnehmen konnten, sie seien jedoch schnell wieder vertrieben worden. Nicht bestätigt wurde ein Bericht des unabhängigen russischen Fernsehsenders NTV, wonach russische Truppen am Samstag in den Präsidentenpalast eingedrungen sind. Der tschetschenische Präsident Dudajew kündigte derweil in einem Interview der Welt am Sonntag an, bis zum Letzten, notfalls „Haus um Haus“ kämpfen zu wollen. Dudajews Sohn, ein Opfer der Kämpfe in Grosny, wurde am Samstag beigesetzt.

Die SPD hat die Bundesregierung aufgefordert, Boris Jelzin wegen des Krieges in Tschetschenien die Unterstützung zu entziehen und gegen Rußland auch wirtschaftliche Druckmittel einzusetzen. Die Sozialdemokraten gingen damit auf deutliche Distanz zu Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Klaus Kinkel. Beide hatten am Wochenende zwar die russische Kriegsführung in Tschetschenien kritisiert, gleichzeitig aber Wirtschaftssanktionen abgelehnt. Er habe überhaupt keinen Zweifel, so Kohl, daß Jelzin weiter den Weg der Demokratie beschreiten wolle. Dabei werde er ihn so gut wie irgend möglich unterstützen. Wirtschaftssanktionen würden die ultrareaktionären Kräfte stärken. Heute will die Hilfsorganisation Cap Anamur 36 Tonnen Hilfsgüter in die Grenzregion zu Tschetschenien fliegen.