: Gangster aus Nationalempfinden
■ Ein Tschetschene als „Mafiosi“. Gespräch mit Waffenkäufer Wladow Makir
taz: Präsident Jelzin hat die Tschetschenen rundweg allesamt als „Mafiosi“ bezeichnet; Sie selbst wurden wegen Verdachts mafioser Bandenbildung in Italien verhaftet, mittlerweile allerdings davon – nicht aber von der Anklage des illegalen Waffenhandels – freigesprochen. Taugt die Mafia zur Identifikation nationalen Handelns?
Makir: Ich habe im italienischen Gefängnis gelernt, daß die Mafia einst – heute vielleicht nicht mehr – sehr viel mit bestimmten, spezifischen Verhaltens-und Denkweisen einer bestimmten Region zu tun hatte, wie etwa Zusammenhalt, Verschwiegenheit, Solidarität gegen die Unterdrücker aus der Hauptstadt, und daß sich daraus durchaus auch eine Art nationale Identität bilden kann. Insbesondere wenn der Druck des „großen Ganzen“, des Gesamtstaates, auf eine Teilregion zu stark wird.
Fühlen Sie sich also als Mafioso und beziehen nur daraus Ihre Identität, auch als Angehöriger eines damit verdächtigen Volkes?
Umgekehrt: Wer Tschetschene ist und von Moskau gegängelt wird, hat zwei Wege: sich zum Duckmäuser reduzieren – oder mit den Mitteln, die ihm verblieben sind, gegen diejenigen kämpfen, die er als Unterdrücker empfindet, zu Hause oder anderswo.
Ich selbst habe den letzteren Weg gewählt. Jahrelang hatte ich, zuerst in der Armee, dann als fliegender Händler, ein Auskommen gesucht. Doch die Schikanen waren übermächtig, und da habe ich mich einem Tschetschenenzirkel angeschlossen, lauter Leuten, die wie ich in der Armee schon Probleme hatten und danach noch mehr. An dieser Stelle war schon klar, daß wir durch Ehrlichkeit und Fleiß zu nichts kommen würden, der kriminelle Weg in den Untergrund war vorgezeichnet.
Daß es uns dabei wirklich um eine Identitätsbildung ging, mag dadurch belegt sein, daß wir fast alle seit der Verschärfung der Spannungen zwischen Moskau und Grosny entweder in unser Land zurückgekehrt sind, um dessen Verteidigung zu organisieren, oder wie ich ins Ausland gereist, um Waffen aufzutreiben.
Daß wir diese vor allem über kriminelle Gruppen, teilweise solche ohne irgendwelche ideologischen oder nationalen Gefühle, beziehen müssen, haben wir inzwischen gelernt. Die andere Seite allerdings auch, daß mit uns nicht zu spaßen ist – wir kommen sozusagen ebenfalls vom kriminellen Bau und wissen uns zu wehren, wenn man uns reinzulegen sucht.
Es gibt eine gewisse Möglichkeit, daß Sie von den italienischen Behörden noch vor Verurteilung abgeschoben werden. Würden Sie damit einverstanden sein?
Und wie. Dennoch glaube ich nicht dran. Nicht, weil die Italiener mich so gerne behalten würden, sondern weil die Botschaft der Gemeinschaft Unabhänbgiger Staaten schwere Bedenken geäußert hat – und gar fordert, daß wir, wenn man uns schon abschiebt, nach Moskau bringt. Da kämen wir natürlich dann vor ein Standgericht. Allerdings habe ich da auch wieder nicht soviel Angst: Unsere Beziehungen sind auch dort noch einigermaßen intakt, wir halten sie aufrecht, auch wenn viele unserer früheren Ansprechpartner uns verraten würden. Aber die Angst Moskaus vor unserer Rückkehr zeigt erneut, daß man uns auch dort heute eher als Patrioten sieht (als tschetschenische natürlich; d.Red.) und weniger als Kriminelle. Das Gespräch führte Werner Raith, Rom
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