Der 1985er Portwein schmeckt reichlich schal

■ Zu Beginn des Wahljahres ist Portugals Regierung ausgelaugt

Lissabon (taz) – Mit einer Flasche 1985er Portwein als Weihnachtsgeschenk an seine Minister erinnerte Portugals Regierungschef Anibal Cavaco Silva an seine erste Wahl zum Ministerpräsidenten. Seit dem Ende der faschistischen Diktatur 1974 hat kein anderer Politiker so lange an der Spitze der Regierung gestanden wie der 55jährige Ökonomieprofessor. Doch knapp zehn Monate vor der Parlamentswahl steckt die regierende Sozialdemokratische Partei (PSD) in der Krise. Zugleich ist Cavacos Verhältnis zu Staatspräsident Mario Soares auf dem Tiefpunkt angelangt. Die gesamte Opposition fordert, den Wahltermin vorzuverlegen. Politische Stabilität, Eindämmung der Inflation, Wachstumsraten über dem EU- Durchschnitt, Attraktivität für ausländische Investoren – das sind die wichtigsten Ziele Cavacos und seiner rechts von der Mitte stehenden PSD. Und der „Cavacismus“, die knappe Dekade der Amtszeit Cavacos, demonstrierte bislang tatsächlich politische Stabilität. Immer offensichtlicher jedoch wird auch die Kehrseite seiner langen Regierungszeit: Ämterpatronage und Korruption. Auf allen Ebenen hat die PSD ihre absolute Mehrheit im Zentralstaat Portugal genutzt, um die Verwaltung mit ihren Mitgliedern zu durchsetzen. Seit Beginn von Cavacos Amtszeit wurden 80.000 Staatsbedienstete neu eingestellt, und die Vermischung von Staat und Partei hat solche Ausmaße erreicht, daß viele Portugiesen ihr Land einen „Orangen-Staat“ nennen. Orange ist die Farbe der PSD.

Innerhalb der EU sind nur die Griechen noch ärmer

Bei der wirtschaftlichen Entwicklung liegt Portugal nach wie vor weit hinter den anderen EU-Staaten zurück. So beträgt das Durchschnittseinkommen der Portugiesen gerade 59 Prozent des übrigen EU-Durchschnitts. Nur die Griechen sind ärmer. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in den Jahren von 1991 bis 1994 lag bei 0,8 Prozent. Und auch wenn Finanzminister Eduardo Catroga mit seiner optimistischen Prognose von 3,1 Prozent Wachstum für 1995 recht behalten sollte, würde es noch 40 Jahre dauern, bis Portugal die Wirtschaftskraft der übrigen EU-Partner erreicht hat.

Portugal sei noch immer weit vom EU-Standard entfernt, meint denn auch Staatspräsident Soares besorgt. Angesichts des Rückstands mache sich Resignation breit. „Besonders die Jugend verspürt eine große Beklemmung“, so der Staatspräsident. An erster Stelle sei Cavaco dafür verantwortlich. Soares beklagte die „exzessive Machtkonzentration“ in den Händen des Regierungschefs. Immer öfter macht der Präsident von seinem Vetorecht Gebrauch, um Gesetzesvorhaben der Regierung zu stoppen. So jüngst das neue Gesetz über den Geheimdienst, dessen Finanzierung Soares vom Parlament kontrollieren lassen möchte.

Mit ihrer absoluten Mehrheit kann die PSD das Präsidenten- Veto zwar beiseite schieben, doch das Bild, das die Reibereien zwischen Staatspräsident Soares und dem rechtsliberalen Cavaco in der Öffentlichkeit entstehen lassen, ist von politischer Stabilität weit entfernt. Vor Beginn seiner Amtszeit 1986 war Soares Chef der Sozialistischen Partei (PS). Die PSD wirft ihm nun prompt vor, er sei nicht Staatschef, sondern Oppositionsführer. Die drei Oppositionsparteien Christdemokraten (CDS), Sozialisten (PS) und Kommunisten (PCP) wollen lieber heute als morgen Neuwahlen. CDS und PCP haben Soares aufgefordert, das Parlament aufzulösen und sofortige Neuwahlen auszuschreiben. Nach Ansicht der PS sollte der Wahltermin wenigstens vom Oktober auf Juni vorverlegt werden, damit die Regierung nicht durch die Sommerpause Gelegenheit bekommt, ihre Fehler vergessen zu machen.

Die gesamte Opposition fordert baldige Neuwahlen

Und Fehler und Skandale sind es, durch die die Regierung vor allem von sich reden macht. So unterstützte Portugal die Regierungsarmee seiner einstigen Kolonie Angola militärisch gegen die Rebellenbewegung Unita – ungeachtet seiner Rolle als „neutraler“ Vermittler bei den Verhandlungen über ein Ende des Konflikts. Verteidigungsminister Fernando Nogueira konnte sich nach diesem Skandal nur mühsam im Amt halten. Seinem Kollegen Duarte Lima gelang das nicht: Als undurchsichtige Immobiliengeschäfte ruchbar wurden, mußte der Vorsitzende der PSD-Fraktion im Parlament seinen Hut nehmen.

Cavaco selbst beweist auch öffentlich immer wieder mangelndes Fingerspitzengefühl. Als im Fernsehen über Mangelernährung in Portugals Armuts-Provinz Alentejo berichtet wurde, hieß Cavacos lapidarer Kommentar: Armutsszenen könne man doch viel besser unter den Clochards am Pariser Seine-Ufer drehen. Theo Pischke