■ Das Portrait
: Jacques Gaillot

„Wenn alle Bischöfe so wären wie Jacques Gaillot, wäre die ganze Welt katholisch“, sind viele Gläubige in der Diözese Evreux westlich von Paris überzeugt. Am Sonntag gingen sie zu Tausenden auf die Straße – begleitet von militanten Schwulen, UmweltschützerInnen und KommunistInnen. Sie forderten eine Rücknahme der päpstlichen Entscheidung, mit der der 59jährige Gaillot am Freitag seines Amtes enthoben worden war.

Vom Papst geschaßt Foto: Reuter

Die katholische Kirche ist seit dem Ukas aus Rom gespalten. Während der konservative Flügel die Bestrafung des unbotmäßigen Bischofs ausdrücklich billigt, sprechen aufgeklärte Priester – darunter mehrere Bischöfe – von einem „gescheiterten Dialog“, der vor allem für die Menschen am Rande der Gesellschaft unverständlich sei.

Schon kurz nach seiner Bischofsweihe hatte Gaillot im Jahr 1982 Aufsehen erregt, als er beim Verfahren gegen einen Kriegsdienstverweigerer auftauchte. Seither verging kein Jahr ohne neue spektakuläre Auftritte des Priesters mit der sanften Stimme. Gaillot setzte sich gegen Atomwaffen und für die Sache der PalästinenserInnen ein, billigte den Gebrauch von Präservativen und der Abtreibungspille und wetterte gegen das Zölibat. Der streitbare Bischof reiste in das sandinistische Nicaragua, er schrieb in dem Schwulenblatt Gay Pieds und versuchte mit kommunistischen und sozialistischen PolitikerInnen ein linkes Bündnis auf die Beine zu stellen.

Der Bürgermeister von Evreux – ein Dissident in der Kommunistischen Partei – sagt, daß 95 Prozent der Gemeindemitglieder hinter seinem Freund, dem Bischof, stehen. Der Vatikan behauptet, zahlreiche Gläubige hätten sich schriftlich über Gaillots weitschweifige Aktivitäten und seine häufige Abwesenheit von der Diözese beklagt. Am Freitag, beim Gespräch in Rom, saß Gaillot einem dicken Dossier über seinen Fall gegenüber.

Da ein Bischof nicht einfach in die Arbeitslosigkeit geschickt werden kann, erhielt Gaillot eine Ernennung für Partenia in Mauretanien – eine frühe Christengemeinde, die seit der Islamisierung Nordafrikas nicht mehr existiert. Frankreichs engagiertester Bischof hat diese Entwicklung wohl kommen sehen. Schon vor Monaten erklärte er mit seiner sanften Stimme im Radio: „Man sollte nicht zu lange Bischof bleiben – die Macht verschleißt.“ Am kommenden Sonntag wird er seine letzte Predigt in der Kathedrale von Evreux halten. Dorothea Hahn