Lückenbüßer Theo Waigel

■ Aids-Stiftung: Industrie soll für infizierte Bluter zahlen

Bonn (taz) – Weil die Versicherer von Pharmaherstellern ihr Geld zurückhalten, muß der Staat im Aids-Skandal einspringen und in anderen Bereichen dringend benötigtes Geld für Entschädigungszahlungen ausgeben. Diese Gefahr sieht die Deutsche Aids-Stiftung „Positiv leben“ in der Debatte um die Ausgleichszahlungen für HIV- Infizierte, die sich durch Blut und Blutprodukte angesteckt haben. Die Entschädigungen müßten in der Hauptsache aus dem Pharma- Pool der Versicherungsunternehmen erfolgen, Mittel des Bundes dagegen für die „tatsächlichen staatlichen Aufgaben“ ausgegeben werden, forderte gestern Ulrich Heide vom Stiftungssvorstand in Bonn. Seiner Meinung nach muß der Staat auch allen anderen von HIV und Aids betroffenen Menschen ein „vergleichbares Maß an Fürsorge“ wie den infizierten Blutern gewähren.

Der Versicherungswirtschaft warf Heide eine „Verweigerungshaltung“ vor, die angesichts von Rücklagen in Höhe von mehreren hundert Millionen Mark völlig unverständlich sei. Die Aids-Stiftung sieht einen Zusammenhang zwischen den Entschädigungszahlungen an die infizierten Bluter und ihrer eigenen Arbeit. Wenn die Versicherer der Pharmaindustrie schnell zahlten, so Heide, stünden Bundesmittel für Aids-Präventionsarbeit und für Hilfe für andere HIV- und Aids-Betroffene zur Verfügung.

Aus dem staatlichen Sofortfonds „Humanitäre Hilfe“ würden in diesem Fall 50 Millionen Mark frei, erklärte Heide. Dieses Geld solle für allgemeine Hilfe für HIV- Infizierte den Aids-Stiftungen zur Verfügung gestellt werden, forderte er. Deren Arbeit sei bereits gefährdet. Der Deutschen Aids- Hilfe (DAH) wurden für das Jahr 1996 Kürzungen der Bundesmittel in Millionenhöhe angekündigt, erklärte DAH-Vorstandsmitglied Bernd Aretz.

Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) hatte vergangene Woche die Empfehlungen des Aids-Untersuchungsausschusses gewürdigt und sich mit Hinweis auf das Versagen des Bundesgesundheitsamtes ausdrücklich zur Staatshaftung bekannt. Heide begrüßte gestern Seehofers Ankündigung, staatliche Vorleistungen für infizierte Bluter in dem Fall zu erbringen, daß Pharmaunternehmer und ihre Versicherer nicht rasch handeln. Das Ausmaß der staatlichen Verantwortung ist nach Heides Meinung vom Aids-Ausschuß allerdings überbewertet worden. Der Abschlußbericht schlägt vor, den Bund mit 20 Prozent und die Länder mit 15 Prozent an der Finanzierung des Fonds zu beteiligen.

Der Vorstoß der Aids-Stiftung hat bei den Organisationen der infizierten Bluter Befürchtungen geweckt, es könne zu einem Konkurrenzkampf der Geschädigten um staatliche Hilfen kommen. Die Aids-Stiftung habe ihren Vorstoß nicht mit Bluter-Organisationen abgesprochen, kritisierte gestern der Sprecher der Interessengemeinschaft Hämophiler, Rainer Grote. Der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck, forderte die Bundesregierung auf, Versicherer und Pharmaindustrie unter Druck zu setzen, damit sie ihren Verpflichtungen nachkämen. Hans Monath