Bürgerforum "nicht verfassungskonform" -betr.: Debatte um Hucky Heck und das "Bürgerforum"", taz vom 12.,14.,16. und 17.1.95

Betr.: Debatte um Hucky Heck und das „Bürgerforum“, taz vom 12., 14., 16. und 17.1.

1. Mein Beitrag war als kleine polemische Spitze zu Huckys politischem Achterbahnverhalten gedacht, nicht aber als argumentative Auseinandersetzung mit einer neuen politischen Formation (Bürgerforum), über deren politisches Profil und personelles Angebot bisher noch gar nichts Genaues bekannt ist. Insofern hat Hucky recht, und ich nehme die überflüssige Polemik gegen die „Gurkentruppe“ hochoffiziell zurück.

2. Auch der Vorwurf des Populismus bezog sich in erster Linie auf Huckys gelegentliches politisches Habitusverhalten, sollte aber keine generelle Kritik an seinen politischen Ideen und Überlegungen sein. Aus der Tatsache, daß eine Aufspaltung des im weitesten Sinne linken Wahllagers in viele Gruppierungen allein der SPD helfen würde, eventuell eine neue absolute Mehrheit zu erzielen, hat Hucky die einzig richtige Konsequenz gezogen, indem er das Bürgerforum nicht als konkurrierende Wahlvereinigung zu den Bündnisgrünen versteht. Ob er sich mit dieser Linie im Forum durchsetzen kann, wird sich zeigen.

3. Gründe für Unzufriedenheit mit der Ampelpolitik gibt es in der Tat viele, und einige davon habe ich hin und wieder in taz-Kommentaren artikuliert. Aber das plakative Beschwören von Bürgernähe als Gegengift und politisches Programm, lieber Klaus Jarchow, ist wenig originell und längst zur Formel geworden. Bürgernah wollen alle sein: Die SPD, die DVU, die Bündnisgrünen und die PDS sowieso. Die Statt Partei in Hamburg wollte besonders bürgernah sein. Was daraus geworden ist, wissen wir.

4. Auch die Formel von der Ausschaltung des Parteienprinzips in Deiner Antwort kommt mir etwas zu locker daher. Parteien haben derzeit keine Konjunktur, und sie tragen ein gerütteltes Maß Schuld daran selbst. Aber die Unzufriedenheit mit den Parteien kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise ausgebeutet werden. Berlusconi und seine Bewegung „Forza Italia“ waren (und bleiben vielleicht) die Hauptnutznießer der Korruptheit der alten italienischen Parteien. Auch Haider hat die Zeichen der Zeit erkannt, indem er die FPÖ kurzerhand aufgelöst und in eine „Bewegung“ verwandelt hat (übrigens mit dem beziehungsreichen Namen: Bündnis Bürger '98). Es gibt auch in Deutschland über verschiedene politische Richtungen und Zeiten hinweg einen Mythos der Bewegung und der direkten Demokratie, der sich immer antiinstitutionell geriert hat. Natürlich ist davon eine moderne Parteienkritik, die sich von der Verstaatlichung der Parteien und der Verparteilichung des Staates distanziert, zu unterscheiden. Dennoch muß sich jede neue politische Formation die Frage gefallen lassen, wie sie den äußerst voraussetzungsvollen und komplizierten Vermittlungszusammenhang von politischer und gesellschaftlicher Problemkomplexität in modernen Industriegesellschaften und dem Wunsch vieler Wählerinnen und Wähler nach Vereinfachung und Reduktion von Komplexität (nach dem Motto: Wir wollen eine Regierung und Politik zum Anfassen) lösen will. Klaus Jarchow liefert selber ein Beispiel dafür, wie schnell dieser Zusammenhang „populistisch“ aufgelöst werden kann.

Das Versprechen, Diäten, Fraktionszuschüsse und Wahlkampfkostenerstattungen vollständig an soziale Einrichtungen, kulturelle Initiativen usw. weiterzureichen, ist bekanntlich nicht verfassungskonform und würde vom Landesrechnungshof sofort mit Sanktionen bestraft. Du müßtest Deine WählerInnen also zunächst einmal über die Hürden aufklären, die solch einem Vorschlag entgegenstehen. Dann müßte das Bürgerforum für politische Mehrheiten kämpfen, um diesbezügliche (verfassungs)rechtliche Regelungen zu verändern.

5. Last not least: Den grünen Elfenbeinturm (wenn es denn einer war) habe ich schon vor Jahren verlassen, und die Uni habe ich zum Glück nie als Elfenbeinturm begriffen. Ein Parlamentsmandat habe ich noch nie gehabt, und berufstätig bin ich schon seit 19 Jahren. Die politischen Irrungen und Wirrungen meiner späten Jugend habe ich in einer Umfeldorganisation der KPD (ohne ML, Laci) ausgelebt, mein ehemaliger Kampfgefährte Till Schelz hat diese Irrungen leider nie aufgegeben (kannst Du uns denn nie verzeihen, daß wir gegen Deinen Willen diese Sekte aufgelöst haben, lieber Till?). Auf prominente Leute habe ich nur gehört, wenn sie etwas Vernünftiges zu sagen hatten, und die Bündnisgrünen begleite ich aus kritischer, wenn auch nach wie vor solidarischer Distanz. Ihr Mitglied bin ich erst 1983, nach einigen Jahren parteipolitischer Abstinenz geworden. Als Kleindarsteller schließlich habe ich das letzte Mal während meiner Schulzeit auf der Bühne gestanden. Die Rolle gefiel mir nicht.

Lothar Probst