Kinder als mediales Katastrophengebiet Von Andrea Böhm

Ich soll was über Kinder schreiben. Weil doch Noah Gabriel Geburtstag hat. Und es soll natürlich etwas Unterhaltsames sein. Das Problem ist: Kinder sind in den USA kein unterhaltsames Thema – es sei denn, sie sind Wunderkinder, wie jener Sechsjährige, der in TalkShows eingeladen wird, weil er die geographischen Umrisse aller fünfzig Bundesstaaten in Käsescheibletten beißen kann.

Sieht man also von solchen Fällen ab, dann sind Kinder ein mediales Katastrophengebiet: Sie werden von ihren Eltern vernachlässigt; sie sehen zuviel Gewalt im Fernsehen – und auf der Straße; sie wissen nach Abschluß der Grundschule die Preise für Schußwaffen beim Dealer an der Ecke, können aber das Wechselgeld nicht zählen; sie werden mit vierzehn zum ersten Mal Mutter und sind mit fünfzehn zum ersten Mal vorbestraft; sie erhalten mit siebzehn ein High- School-Zeugnis, das sie nicht lesen können. So sieht es zumindest Newt Gingrich, der neue „Möchtegern-Premierminister“ der USA – und die täglichen Schlagzeilen scheinen ihm recht zu geben.

Andere Branchen haben von Kindern ein weitaus freundlicheres Bild. Zum Beispiel die Hersteller von Spielzeug, Junk food, Textilien oder Computer-Software. Kinder sind Kunden; Kunden sind Könige – und Könige dürfen nicht nur ihre Untergebenen terrorisieren, sondern auch ihre Eltern zum Bezahlen zwingen.

Einer der genialsten PR-Tricks der Futterkette „McDonald's“ dürfte die Geburt des Kinderclowns Ronald McDonald sein sowie das Angebot, Kindergeburtstagsfeten in einem Meer von Fritten und Milchshakes auszurichten. Den Idealfall allerdings demonstriert der ewige Kinderstar Macauly Culkin in seinem neuesten Streifen „Richie Rich“. Da hat er die eigene „McDonald's“-Filiale gleich im Haus.

Noch weiter voraus – oder zurück – hat man bei „GAP“ gedacht, jener Bekleidungskette, die das amerikanische Äquivalent einer Schuluniform vertreibt. Nach „GAP“ für Erwachsene und „GAP für Kids“ soll es nun auch „GAP für Babies“ geben. Da dürfte es nur noch ein Frage der Zeit sein, bis der „Calvin Klein“-Overall für die ersten Tage im Brutkasten auf den Markt kommt.

In sicherer Erwartung der Weihnachtskonjunktur 1995 findet im Februar in New York die Spielzeugmesse statt, wo unter anderem die Firma „Disney“ analog zu den geplanten Kinderfilmproduktionen das passende Puppen- und Stofftiersortiment vorstellt. 120 Millionen Dollar hat der Konzern bislang allein durch den Verkauf von kleinen und großen Löwen, Ebenbilder des kleinen und großen „Lion King“, eingestrichen. Der nächste durchkalkulierte Kassenschlager soll „Pocahontas“ heißen, eine Rührstory über eine Indianerprinzessin, die dem Gründer der ersten englischen Kolonie das Leben gerettet haben soll. In der Disney-Spielzeugwelt sieht sie aus wie eine Mischung aus Barbiepuppe, Cheerleader und Pin-up- Girl.

Mit ein bißchen Verspätung kommt sie in ihrem hellblauen Plastikkanu auch nach Deutschland gepaddelt, samt „Casper“, dem netten Geist aus der nächsten Steven-Spielberg-Produktion, und „Glop“, einer Slimemasse zum Ekeln und Essen. Es gibt viel zu kaufen, Noah Gabriel. Happy Birthday.