„Modell für den totalitären Schlag“

Der nigerianische Dissident und Führer der Ogoni-Minderheit, Ken Saro-Wiwa, steht unter Mordanklage vor Gericht / Das Leiden der Ogoni mobilisiert Nigerias Demokratiebewegung  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Wem gehört das Öl? In Nigeria, das fast all seine Exporteinnahmen dem schwarzen Gold verdankt, ist diese Frage ein Politikum. Während Nigerias gigantische Öleinnahmen von den Mächtigen geheimgehalten werden und oft spurlos verschwinden, leiden die Bewohner der Hauptfördergebiete im Südosten unter infernalischer Umweltverschmutzung und Vertreibung aus ihren Dörfern. Und der daraus entstehende Konflikt ist ein Grund dafür, warum einer der bekanntesten Dissidenten des Landes jetzt unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor einem Sondertribunal steht – in einem Prozeß, der zu einem zentralen Mobilisierungsthema der nigerianischen Demokratiebewegung geworden ist.

Vor Gericht steht Ken Saro- Wiwa, populärer Autor und Symbolfigur des Widerstands gegen Nigerias Militärregime. Saro- Wiwa gehört zum 500.000 Menschen zählenden Ogoni-Volk, das mitten im Ölfördergebiet lebt, und führt die „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“ (Mosop). Anfang 1993 begannen die Ogoni mit Protesten gegen ihre Lebensbedingungen, worauf das Militär hart reagierte. „Seit Juli 1993“, schrieb Saro-Wiwa im vergangenen August, „haben die nigerianischen Sicherheitskräfte über ein Viertel unserer Dörfer zerstört, über 1.200 Menschen umgebracht, viele weitere verletzt und fast 100.000 Ogoni-Bürger zu Flüchtlingen gemacht“.

Die Lage im Ogoni-Land eskalierte im April 1994, als die Regierung des Bundesstaates Rivers State eine massive Aufstockung der Militärpräsenz und die Einrichtung von Ausnahmegerichten gegen Beteiligte an „kommunalen Konflikten“ ankündigte. Der Beauftrage für Innere Sicherheit des Bundesstaates, Major Okuntimo, machte am 12. Mai in einem jetzt bekanntgewordenen und der taz vorliegenden Schreiben an den Militärverwalter des Bundesstaates weitere Vorschläge wie „Wasting Operations (Mordaktionen, d. Red.) in Mosop- und anderen Versammlungen, die eine dauernde Militärpräsenz rechtfertigen“. Zur Ermutigung sollten die in Ogoniland stationierten Soldaten den Sold für Auslandseinsätze erhalten. Dafür sollte „Druck auf die Ölgesellschaften für prompte reguläre Inputs“ gemacht werden – was für Mosop beweist, daß die in Nigeria operierenden Ölmultis für die Repression zahlen.

Die Anklage gegen Saro-Wiwa ist nicht bekannt, soll aber auf Mord lauten. Denn am 21. Mai starben bei einem mysteriösen Attentat vier Ogoni-Führer, die vom Staat als konservative Alternative zur Mosop gefördert worden waren; Soldaten verhafteten Ken Saro-Wiwa in der darauffolgenden Nacht, obwohl der sich zum Zeitpunkt des Anschlags ganz woanders aufgehalten hatte. Das Attentat war Vorwand für eine neue Angriffswelle des Militärs. Augenzeugen berichteten im Juni 1994 von verbrannten und geplünderten Ogoni-Dörfern, Hinrichtungen und Massenvergewaltigungen.

Während Saro-Wiwas Gesundheit sich in der Militärhaft verschlechterte, wurde die Repression gegen die Ogoni zu einem Mobilisierungsthema der nigerianischen Demokratiebewegung, die seit dem Militärputsch von General Sani Abacha im November 1993 selbst zunehmender Unterdrückung ausgesetzt war. „Die Administration sieht die Ogoni-Proteste als Beginn einer möglichen landesweiten Rebellion“, sagte Mosop-Generalsekretär Ben Naanen. Der aus Nigeria geflohene Schriftsteller Wole Soyinka schrieb: „Ogoniland ist leider nur der Modellraum für den lang erträumten totalitären Schlag gegen die liberalen, politisch gebildeten Teile des nigerianischen Staates.“

„Er denkt, man wird ihn in der Haft töten“

Im Oktober 1994 erhielt Saro- Wiwa den Alternativen Nobelpreis. Das Europaparlament und 70 britische Unterhausabgeordnete haben gegen das Gerichtsverfahren gegen ihn protestiert.

Mit dem Prozeßbeginn gegen Saro-Wiwa geht das Militär ein Risiko ein. Der gerade von einer Nigeriareise zurückgekehrte Schriftsteller Adewale Maja-Pearce beschreibt gegenüber der taz den Prozeß als „zentrales Thema der Diskussion“ und sagt: „Die Regierung hat keine Legitimation, also sprechen die Leute der Regierung jegliches Recht ab, jemanden vor Gericht zu stellen.“ Über Saro- Wiwa sagt er: „Er hat keine Chance auf einen fairen Prozeß. Er hat Briefe aus dem Gefängnis schmuggeln können, und er denkt, man wird ihn in der Haft töten.“

Zunächst wurde der am Montag unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen in Port Harcourt begonnene Prozeß ohne klare Begründung auf den 26. Januar vertagt. Nach Angaben von Richard Boele von der internationalen Minderheitenbewegung UNPO befindet sich Saro-Wiwa seit Jahresbeginn in einem neugebauten Zellentrakt, wo er – anders als bisher – über „ein Bett, ein kleines Fenster und einen Ventilator“ verfügt. Seine Anwälte Femi Falana und Gani Fawehinmi wurden jedoch nach Berichten aus Nigeria kurz vor Prozeßbeginn verhaftet. Der Internationale PEN-Club will jetzt ebenso wie die britische Anwaltskammer und die Internationale Juristenvereinigung Prozeßbeobachter entsenden.