: Schutzmaßnahmen vernachlässigt
■ Erdbebenexperte Andreas Vogel von der Freien Universität Berlin über den falschen Glauben Japans an die Erdbebenvorhersage
taz: Wie genau kann man Erdbeben voraussagen?
Vogel: Überhaupt nicht. Wir haben ja das Konzept der Plattentektonik, nach dem die äußere Schale der Erdkruste aus einer Anzahl von Platten besteht, die sich gegeneinander verschieben. Japan gehört zu den sogenannten Plattengrenzen, wie auch Kalifornien. Aber auch dort sind die großen Erdbeben der letzten Zeit nie vorhergesagt worden. Hinzu kommt, daß Erdbeben nicht nur an solchen Plattengrenzen auftreten, sondern mitunter auch im zentralen Teil.
Es ist also unmöglich, vor einem Erdbeben zu warnen?
Es gibt zwar Vorläuferphänomene, zum Beispiel kleinere Erdbeben. Aber manchmal gibt es die auch nicht. Und manchmal gibt es ganze Schwärme kleinerer Erdbeben, ohne daß ein größeres folgt. Auch andere Vorläuferphänomene, wie Verformungen der Erdkruste oder Grundwasserveränderungen, sind keine sicheren Anzeichen für das Herannahen eines Erdbebens. Es gibt einfach kein Muster, jedes Erdbeben ist anders.
Was machen denn dann Sie in der Erdbebenprognostik?
Unser Ziel ist es, mit Hilfe der neuen Technologien die gefährdeten Gebiete genau zu bestimmen und dort dann entsprechende Vorkehrungen zu treffen.
Was für Vorkehrungen?
Erdbebensichere Bauweise, erdbebensichere Stadtplanung. Gebäude werden durch Federsysteme oder Gummidämpfer gegen Schwingungen gesichert. Versorgungslinien wie Gasleitungen und Wasserleitungen werden geschützt. Gerade in Japan ist es bei den großen Beben oft vorgekommen, daß Brände ausgebrochen sind, die man nicht hat löschen können, weil auch die Wasserleitungen zerbrochen waren.
Diese Maßnahmen sind ja bekannt und müßten in einem an Erdbeben gewöhnten Land wie Japan doch befolgt worden sein. Warum gibt es dennoch diese immensen Schäden?
Es gibt in Japan eine recht starke Lobby von Leuten, die behaupten, sie könnten mit Hilfe des dichten Netzes von seismographischen Meßstationen Erdbeben voraussagen. Und auf diesem Glauben baut das System auf: Es gibt ein Katastropheneinsatzzentrum, das in Aktion treten soll, wenn für die nächsten Stunden oder Tage ein Erdbeben vorhergesagt wird. Dann sollen die Experten und der Ministerpräsident zusammenkommen und Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung treffen. Das funktioniert eben nicht, auch dieses Beben ist nicht vorhergesagt worden. Aber der Glaube an die Vorhersagen führt dazu, daß die Schutzmaßnahmen vernachlässigt werden.
Gibt es denn Erfahrungen, wo durch die Anwendung der Schutzmaßnahmen die Zahl der Opfer verringert werden konnte?
Sicher, und sogar dieses Beben in Japan zeigt das. Bei ähnlichen Beben in Indien, im Iran oder Armenien kommen gleich Zehntausende ums Leben. Im Vergleich dazu sind die Japaner noch glimpflich davongekommen, weil sie eben doch einiges getan haben, um sich zu schützen. Interview: Bernd Pickert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen