Kalte Füße im Grenzland

■ Neu im Kino 46: „High Boot Benny“ läuft im irischen Kulturprogramm

„Zum Glück ist alles vorbei“, sagen die einen „Na, wer weiß, wie lange das halten wird“, die anderen. Die Rede ist vom Nordirlandkonflikt und dem erst wenige Monate alten Friedenszustand, der durch das Niederlegen der Waffen von der IRA eingeleitet wurde. Noch ist die Situation von Zweifel und Mißtrauen gezeichnet, zu lange haben heimtückische Morde auf beiden Seiten das Land und die Bevölkerung beschädigt.

Benny ist in Nordirland augewachsen. In Joe Comerfords Film „High Boot Benny“, spielt er die Hauptrolle, den Jungen mit den schweren Stiefeln. Auch wenn der 17-jährige mit seinem martialischen Schuhwerk schwer bewehrt scheint, ist er im Chaos der kriegerischen Handlungen eindeutig unter die Räder gekommen. Vor Jahren von zu Hause weggelaufen, hat er anschließend eine Menge schlechte Erfahrungen in diversen Erziehungsheimen gesammelt und findet sich jetzt als Landarbeiter im Grenzgebiet zwischen Nordirland und der irischen Republik wieder - einem höchst ungemütlichen Ort in dem es nicht nur ständig stürmt, sondern wo wieder und wieder Gewehrschüsse über die Hügel peitschen.

Zuflucht bietet „The Mount“, eine Schule, die sich in diesem Grenzgebiet konfessionelle Unabhängigkeit auf die Fahnen geschrieben hat und die aus eben diesem Grunde weder von der katholischen, noch von der protestantischen Seite Schutz erhält. Im Gegenteil, für Militär und IRA ist die Erziehungsanstalt mit dem warnenden Torschild „Erziehung zur Unabhängigkeit ist gefährlich“ ein Dorn im Auge. In welcher Gefahr sie schweben, ist weder der protestantischen Schulleiterin, die das Gebäude von ihrer Familie geerbt hat noch ihrem Mitstreiter Manley, einem geschaßten katholischen Priester bewußt.

Aber die Situation spitzt sich langsam zu. In dieser Welt, die nur aus Sturmböhen, wollenen Fingerlingen und dunkelgrüngestrichenen Wellblechhütten zu bestehen scheint, findet Benny auch noch eine unbekleidete Leiche. Der Hausmeister der Schule ist ermordet worden. Die Begründung kommt bei der Beerdigung vom Priester: „Er war ein Spitzel. Darum ist er tot. Basta“

Dann wird Benny entführt und später an einen Eisenrohr gefesselt, geteert und gefedert wieder gefunden. Ab jetzt gibt es kein zurück mehr. Alle drei müssen einsehen, daß die Schule mit dem pazifistischen Ideal in dem heiß umkämpften Grenzgebiet nicht zu halten sein wird.

Als Joe Comerford 1993 diesen Film drehte, konnte er nicht ahnen, daß nur ein Jahr später der ganze Nordirlandkonflikt schon Geschichte sein würde. Generationen lang sind die Familiengeschichten eng verquickt mit dem bewaffneten Kampf der IRA. Und Joe Comerford selbst stammt aus einer solchen Familie. Sein Vater und seine Schwester besuchten die konfessionell ungebundenen Schule deren Schließung den Anlaß für den Film gab.

In klaren Bilder und schlichten Bildschnitten berichtete er von den Härten des irischen Alltags. Und am Ende gelingt es ihm, über die Katastrophe hinaus, auch die längerfristigen Zerstörungen zu vermitteln. Deutlich wird, daß für Generationen auch deshalb das Leben keine Zielrichtung hatte, weil die Laufrichtung identisch mit der Fluchtrichtung war.

Susanne Raubold Nur Sa, 20.30 Uhr, im Kino 46