Erotikshop in Gera

■ Concordia-Inszenierung zähmt „Die Schlange“ des Brasilianers Nelson Rodrigues zum Teddybär

Aufwendige Karnevalskostüme, in der Luft die schweren Gerüche exotischer Blumen und Straßenabfälle - und im Alltag ein Gedränge der Leiber. Unübersehbare erotische Signale: knappe Tangas, die ein Maximum an zimtfarbener Haut freilassen; weibliche Körper, deren Formen durch grelle Stoffe weniger verhüllt als betont werden. Stolze Sinnlichkeit. Noch das klischeebeladenste Bild von Brasilien atmet Erotik aus allen Poren. Auch Nelson Rodrigues, der brasilianische Autor der „Schlange“, interessiert sich im wesentlichen für die sexuellen Triebe der Protagonisten. Leider weiß nur Matthias Brenner, der Regisseur der Inszenierung, nicht, wie man Erotik buchstabiert.

Das könnte unter menschlichen Unzulänglichkeiten abgehakt werden. Als geradezu verwunderlich muß allerdings anmuten, wenn sich der beleibte Darsteller mit der Teddybär-Ausstrahlung dann auch noch die Rolle des erotisch unwiderstehlichen Potenzprotz zumutet. Die Wirkung auf der Bühne: fatal wie die Inszenierung selbst. Dann stellt sich letztendlich noch heraus, daß dieses Desaster uns keinesfalls überraschend ereilt, sondern bereits vor zwei Jahren am Theater in Gera, dem damaligen Wirkungsort von Matthias Brenner, zu besichtigen war: für Bremen also eine geplante Katastrophe.

Nelson Rodrigues erzählt eine simple Geschichte. Ligia ist unschuldig in die Ehe gegangen. Sie hat sich von der Liebesnacht mit ihrem Ehemann alles versprochen: Glück, sexuelle Erfüllung und Schwangerschaft. Das Erwachen ist bitter. Ihr Mann Decio empfindet keinerlei Begehren für seine Frau. So spitzt sich eine Katastrophe zu. Ligia fühlt sich als Frau tief gekränkt in einer Welt, in der Sexualität nicht nur unverkrampfter gehandhabt wird, sondern auch gesellschaftlich mit höherem Wert belegt ist. Als Ligia sich umbringen will, greift ihre Schwester Guida, die in sexuell erfüllter Ehe lebt, ein und schenkt ihr eine Nacht mit dem eigenen Ehemann. Es folgt, was auch in Brasilien folgen muß: ein Eifersuchtdrama in der gemeinsamen Wohnung.

In Matthias Brenners Inszenierung dieses archaisch anmutenden Stücks wird nun der Cocktail aus Blut, Schweiß und Sperma zum Mitropa-Charme der mitteldeutschen Spießbürgerlichkeit herunterdesinfiziert. Statt uns Tangoschritte und wollüstige Umarmungen zu bieten, werden hier die Sofakissen gescheitelt.

Erst in dritter Linie geht es um psychologische Verknotungen, im wesentlichen um handfesten Sex. Bei der Inszenierung gehen so Sinn und Zweck des Stücks, das von der unbeherrschbaren auch destruktive Kraft der Sexualität handelt, vollkommen verloren.

Vor allem scheint Regisseur Matthias Brenner noch nie vom ABC der Körpersprache gehört zu haben. Wie sonst könnten sein Paulo (Matthias Brenner) und Guida (Cornelia Heyse), die doch eine Beziehung voll großer erotischer Attraktion leben sollen, so formlos und hingeflegelt auf dem Wohnzimmersofa lümmeln. Nur Fernbedienung und Hauspantoffeln fehlen ihnen noch zu ihrem Glück. Aber auch als Paulo dann bei Ligia (Irene Kleinschmidt) den erfolgreichen Liebhaber spielen darf, fehlt dieser Darbietung jeder Hinweis auf Sinnlichkeit. Da versenkt sich kein tiefer Blick in die Augen, kein hingebungsvoller Kuß oder begehrliche Berührung erlauben den geringsten Hinweis auf die Geschlechtlichkeit der Protagonisten. Selbst die Ausstattung hilft mit der „Schlange“ jede gefährliche Körperflüssigkeit auszutreiben. Statt verwegener Atmosphäre dominiert der Liebreiz eines harmlosen IKEA–Ambientes. Ausgesprochen ungünstige Bedingungen für Texte und Theaterfiguren, die hitzigeres Klima und sinnlichere Lebensumstände auf der Bühne brauchen. Susanne Raubold

Nächste Aufführungen von „Die Schlange“: 23.1. und 30.1., jeweils 20 Uhr im Concordia