Schirm & Chiffre
: Die grünhaarige Trollin

■ Medien in Berlin – heute: der einzige Computer-Dungeon

Wir treffen uns in Ardannas Castle. Ich bin Melanchthon. Vor mir steht Papillon. Eine Art Hexe mit einem sprechenden Floh. Ich verbeuge mich höflich. Sage, daß ich von der Zeitung bin und eine home story über sie machen will. Sie hält mich für einen Scharlatan. Ihr Floh beginnt Faxen zu machen. Hoffentlich springt das Ding nicht über.

Papillon und ich sind im TUBMUD. Ein MUD, das ist ein „Multi User Dungeon“. Ein Computerprogramm, in das sich mehrere Spieler über Internet (vgl.: Schirm & Chiffre vom 5.1.) einloggen können, um sich gemeinsam durch eine virtuelle Welt zu bewegen. Repräsentiert wird diese Welt ausschließlich durch Texte und Programme. Ein MUD, das ist gleichsam ein interaktiver, sich selbst fortschreibender Adventure-Roman. Das erste Spiel dieser Art wurde Anfang der achtziger Jahre in England produziert. Von da aus schwappte die Idee in die USA rüber, um wieder nach Europa zurückzukehren.

Das TUBMUD gilt als das älteste MUD in Deutschland. Seit 1990 läuft es auf einem Rechner der Informatiker an der TU Berlin. Entworfen hat es eine Gruppe von Studenten. Einer davon ist Alex, der heute die Oberaufsicht über das Spiel hat. Er ist der MUD-God. Zusammen mit den „Arch Wizards“ Jesper und René sorgt er dafür, daß das Spiel läuft und ausgebaut wird. Inzwischen ist das digitale Reich auf 20.000 Text- und Programmfiles angewachsen, ganze 120 Megabyte auf der Festplatte.

Tatsächlich ist so ein MUD eine feine Sache. Vor dem Spieleintritt muß sich der Novize erst einmal eine Identität geben. Ich kann entscheiden, ob ich Mann, Frau oder Neuter sein will. Ich wähle einen Namen und gebe eine Personenbeschreibung. Was die Einzelheiten angeht, ist jedes MUD anders. Manche spielen in der Zukunft, andere in der Vergangenheit.

Das TUBMUD ist im Mittelalter angesiedelt. Eine Fantasy- Welt mit Schlössern, Monstern und Drachen. Hier wird Anständigkeit noch großgeschrieben. Nach dem Willen der Schöpfer sollen die SpielerInnen „Toleranz und Akzeptanz“ pflegen. Anders als in anderen MUDs ist Player-Killing nicht erlaubt. Sex der MUD-Figuren wird ungern gesehen. „Clean und jugendfrei“ soll es zugehen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

1993 gelang es drei Verschwörern, die Figur eines anderen Spielers umzubringen. Mit Hilfe von programmierten Feuerwerkskörpern hatten sie den aufgeblasenen Duke in die Luft gesprengt. Inzwischen ist die Lücke im System geschlossen. Mord gibt es nicht mehr.

Ohnehin lauern genug Tücken im TUBMUD. Zum einen sind da die Monster, die einem das Leben schwermachen, zum anderen laufen einem überall programmierte Automaten über den Weg, die von echten Spielern nicht immer zu unterscheiden sind. Da ist zum einen der MUD- notorische Harry, der sich einem an die Hacken hängt und einen unaufhörlich mit Fragen nervt.

Da sind aber auch elaboriertere Charaktere wie die Seelentrösterin Eliza („she is middle aged an a little bit plumb and she looks at you understandingly“) oder die von Jesper programmierte Wanderhure Tanda. Die „grünhaarige Trollin mit üppiger Figur“ lockt Leute mit unzweideutigen Angeboten in ihr Zelt, um die gefoppten Freier anschließend dem allgemeinen Gelächter der MUD-Gemeinde preiszugeben.

Doch mudden soll mehr sein als bloße Spielerei. Alex hält das Ganze für ein großes soziales Experiment. René sieht im MUD so etwas wie eine „digitale Heimat“, die sich die Leute neben ihrem realen Zuhause suchen: „Man lebt in einem Datendorf. MUDs sind ein Ausblick auf die künftige Form der Kommunikation.“ Im bayerischen Erlangen sieht man das offenbar anders. Dort hat die Uni-Leitung vor kurzem die Schließung eines MUDs angeordnet. Nicht etwa wegen mangelnder Rechnerkapazitäten, sondern „wegen Suchtgefahr“ – so lautete zumindest die offizielle Begründung.

P.S.: Wer selber mal mudden will oder weitere Fragen zum TUBMUD hat, wende sich an die E-Mail-Adresse tubmud 6 cs.tu-berlin.de Martin Muser