Der Vater aller Alpträume

Glanz und Elend eines Pizzagesichts: „Freddy's New Nightmare“ – Wes Craven versucht es noch einmal  ■ Von Karl Wegmann

Der Mann ist eine alte Sau. Seit über zehn Jahren hat er seine Klamotten nicht mehr gewechselt, läuft ständig in diesem löchrigen grün- rot gestreiften Pullover und mit speckigem Filzhut durch die Gegend. Er schreibt schlechte Lyrik („One, two – Freddy's coming for you“) und hat ein Gesicht, daß nicht einmal eine Mutter lieben könnte. Der typische Penner von nebenan? Oooh nein! Der Mann ist begabt, hat schon als Debütant einen alten Lederhandschuh sehr wirkungsvoll umgebaut, indem er an jeden Finger eine rasiermesserscharfe Klinge schraubte. Mit dem Ding geht er immer noch auf Schnitzeljagd („Three, four – better look your door“). Außerdem ist er noch ein toter Kindermörder und ein „dreamdemon“, der sich nachts in die pubertären Träume von Teenagern schleicht – dafür vergöttern ihn die Kinder, weltweit, millionenfach.

Freddy Krueger heißt der Mann, und er steht in der Welt der Serienkiller eigentlich ziemlich mies da: Sein Kollege Jason Voorhees („Freitag der 13.“) brachte es bis jetzt auf 126 Opfer (13 Überlebende), Michael Myers („Halloween“) schaffte immerhin schon 46 (3 Überlebende) aber Freddy kommt in sechs Folgen „Nightmare on Elm Street“ gerade mal auf 37 Opfer, von denen ihm auch noch 12 von der Schippe hüpfen. Das ist nicht gut. Selbst Jeffrey Dahmer war erfolgreicher. Da also – wir kennen es vom Fernsehen – die Quote Tote braucht, haben sie sich jetzt für Herrn Krueger („Five, six – grab your crucifix“), der schon des öfteren auf die bezauberndsten Arten in die Hölle geschickt wurde, noch eine Geschichte ausgedacht.

Teil Sieben heißt im Orginal „Wes Craven's New Nightmare“, aber die Deutschen haben wieder mal nichts kapiert und daraus „Freddy's New Nightmare“ gemacht. Liebe Leute, Freddy Krueger träumt keine Alpträume, er ist der Alptraum – und Mr. Craven ist sein Daddy.

Wesley Earl Craven ist ein interessanter Mann. Am 2. August 1939 in Cleveland, Ohio, geboren, sah der strenggläubig baptistisch erzogene Junge erst mit 18 Jahren seinen ersten Film – und war nicht beeindruckt. Craven studierte Englisch und Psychologie, ehe er seinen Abschluß in Philosophie machte. Danach arbeitete er als Sozialkunde-Dozent, bis zu dem Tag als er beschloß, Filmregisseur zu werden. Dazu war der Akademiker bereit, wieder ganz unten anzufangen; er begann als Laufbursche. Für sein Gesellenstück, „The Last House On The Left“ (1972) heimste er gleich jede Menge Ruhm ein: Die Schlachtplatte wurde von der Motion Pictures Association of America wegen seiner extremen Gewaltdarstellung als erstes Machwerk der Filmgeschichte, das kein Porno war, mit einem X-Rating (nur für Erwachsene) belegt. Craven war berühmt. Er verteidigte seinen Film als „Reaktion meinerseits auf die Gewalt um uns herum, insbesondere die des Vietnamkriegs“. Alles klar: Kultfilm! Überhaupt ist für Craven „die Linie zwischen Horrorfilmen und politischen Filmen, in denen Leute systematisch terrorisiert werden, sehr dünn.“ Wohl aus diesem Grund drehte er die alberne Comic-Adaption „Swamp Thing“ und 1984 das Teenie-Gruselmärchen „A Nightmare on Elm Street“ („Mörderische Träume“).

Der Film beeindruckte Kritiker und Publikum gleichermaßen: Es ist die Geschichte von Nancy Thompson, die von schrecklichen Alpträumen, in denen sie ein Mann mit verbranntem Gesicht verfolgt, geplagt wird.

„Nightmare“ benutzt das klassische Horrormotiv vom „Schwarzen Mann“, in das sich so herrlich viel hineininterpretieren läßt: frühkindliche Ängste, Paranoia von pubertierenden Jugendlichen in einer nicht stabilen Familie, der Einbruch der realen Welt in eine scheinbar heile Vorstadtidylle usw. usf. Hinzu kam, daß Wes Craven seine handwerklich perfekt erzählte Geschichte mit Special effects und spritzenden Blutfontänen ordentlich anreicherte. Das alles genügte, um den Film zu einem globalen Kassenhit und Freddy Krueger zu einem angebeteten Leinwandhelden zu machen.

In dieser Situation machte Regisseur und Autor Wes Craven einen schweren Fehler: Er lehnte die Inszenierung eines Sequels ab. Dabei war klar, daß das meuchelnde Pizzagesicht nicht so mir nichts, dir nichts verschwinden konnte, der Irre war schließlich reines Gold wert. Aber Craven hatte Ambitionen, wollte noch besseren Horror zeigen, fiel aber mit bedeutungslosen, ja lächerlichen Filmchen wie „Die Schlange im Regenbogen“ oder „Shocker“ böse auf die vorlaute Schnauze und landete zu guter Letzt beim Fernsehen.

Jack Sholder drehte schließlich „Nightmare II“ und bekam Freddy nicht unter Kontrolle; Chuck Russel saß im Regiestuhl für Teil drei und scheiterte kläglich, ebenso wie Renny Harlin (Teil vier) und Stephen Hopkins (fünf). Danach sah es so aus, als ließe sich aus der Elm Street kein Dollar mehr herausquetschen – etwas Neues war ihnen seit dem ersten Teil sowieso nicht eingefallen. Also zimmerte man Teil sechs (Regie: Rachel Talalay), nannte ihn „Freddy's Dead: The Final Nightmare“ (1991), und damit schien die Sache gegessen. Doch leider hatte niemand mehr mit Wes Craven gerechnet.

Er drehte New Line Cinema ein neues Drehbuch zum zehnjährigen Jubiläum der Serie an, etwas „Anspruchsvolles“. „Weil die Zuschauer, die den ersten Teil damals gesehen haben, jetzt zwischen 25 und 30 Jahre alt sind, wollte ich den Film für sie machen.“ Dafür deutet er die Katharsisthese der alten Griechen ein bißchen um. Im Film spielt Craven sich selbst und erklärt Heather Langenkamp (die Darstellerin der Nancy Thompson in Teil 1 und 3), daß in alten Zeiten Geschichtenerzähler den „Dämonen des Bösen Namen und Formen gegeben haben. Auch, sie ,Freddy‘ zu nennen und sie in einem Filmzyklus einzuschließen, war ein Weg, sie in den Griff zu bekommen. Aber nun ist die ,Nightmare'-Serie beendet, und das Böse versucht wieder, in die Realität vorzudringen.“ Das heißt nichts anderes, als daß Herr Krueger („Seven, eight – better stay up late“) wieder anfängt zu schnibbeln. Irgendwelche neuen Ideen? Pustekuchen! Statt dessen haufenweise Zitate aus Horrorfilmen der 80er, ein bißchen philosophischer Schwachsinn („Manchmal ist es das, was wir nicht sehen, das uns hilft, die Nacht zu überstehen“) und die altbekannte Film-im-Film- Technik, die bis zum Überdruß eingesetzt wird. Craven erzählt auf drei Ebenen: Realität, Film (der parallel zur Story in der Story gedreht wird) und Traum. Ungefähr 20 Minuten ganz interessant, danach fühlt man sich verarscht.

Nur Freddy Krueger („Nine, ten – never sleep again“) in Aktion ist dann doch wieder sehenswert. Überhaupt haben wir ihm noch zu danken, zerrte er doch einst (war es Teil 4 oder 5?) Johnny Depp ins Bett und spuckte ihn anschließend in kleinen Stückchen wieder aus. Das war nett, dafür vergeben wir ihm auch seinen schmierigen, grün-rot gestreiften Pullover.

„Freddy's New Nightmare“. Regie: Wes Craven. Mit Robert Englund, Heather Langenkamp, Wes Craven u.a. USA 1994