Eine verpaßte Chance

■ betr.: „Im Rampenlicht versteckt“, „Aufklärung über den Aufklärer“, „Respekt vor Bertrams Courage“, taz vom 9. 1.95 ff

[...] Als Lutz Bertram sich in der Sondersendung des ORB am 7. 1. der Öffentlichkeit stellte – und es ist zu fragen, inwieweit und warum er es wirklich tat –, fiel das Echo sehr unterschiedlich aus. Von Bekundungen des Respektes bis zu massiven Zweifeln an seinen Motiven war alles dabei.

Genau hier setzt meine Kritik der Form, in der diese Sendung, diese Befragung, durchgeführt wurde, an. Worum ging es eigentlich? Transparentmachen von Motiven, Aufzeigen von Mechanismen und ihren Ursachen? Ich meine, hier wurde eine Chance vertan; und das nicht nur im Fall Bertram.

Wer das Buch des Hallenser Psychotherapeuten Hans-Joachim Maaz: „Die Entrüstung. Deutschland, Deutschland; Stasi, Schuld und Sündenbock“ gelesen hat, konnte sich mit der Argumentation von einem, der es wissen muß, vertraut machen, deren Kernaussage zu diesem Punkt mir darin zu bestehen scheint: strafrechtliche Verfolgung (allein), moralische Entrüstung und Verurteilung oder gar Rache sind nicht die geeigneten Mittel, eine Atmosphäre zu schaffen, in der oben genannte Fragen effektiv und eindeutig geklärt werden können. Eine andere Möglichkeit der Aufarbeitung aber sehe ich nicht. Wenn wir uns Sündenbockfiguren schaffen, auf die wir alle unsere Unbehaglichkeiten, Frustrationen... projizieren können, dient uns das, laut Maaz, wieder nur der Verdrängung der wirklich wichtigen Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Und: Wie steht es um mich, wie hätte ich mich verhalten? Welche Persönlichkeitsstrukturen waren und sind es, die sich die Stasi so dienstbar hatte machen können, und wie entstehen sie? Viele Antworten darauf hat der Autor in seinem Buch gegeben, und sie müssen hier nicht wiederholt werden.

[...] Lutz Bertram hatte den Anspruch erhoben, über alles offen und schonungslos zu reden. Er hat ihn letztlich nicht eingelöst, und ich finde es zu einfach, dies allein ihm anzulasten.

Deutlich bewegt und oft den Tränen nahe, erzählt er zu Beginn der Sendung die Geschichte seiner Erblindung und wie die Stasi ihn damit manipuliert und sich seine Verzweiflung zunutze gemacht hat. „Sie haben mich an der Achillesferse erwischt“, sagt er dazu, und es gelingt ihm die Gratwanderung zwischen Erklärung und Entschuldigung. Die ihm gegenübersitzen, haken nach. Dabei werden auch für den gutwilligen Beobachter Widersprüche deutlich, die Bertram auszuräumen imstande ist. Er, der die Flucht nach vorn hatte antreten wollen, gerät immer mehr mit dem Rücken an die Wand, wird zum Opfer seiner Befrager, besonders des Herrn Greffrath (den ich trotz allem nicht in eine Reihe mit irgendwelchen Führungsoffizieren stellen würde – das war ein ärgerlicher Fauxpas, Frau Westphal! Sind Ihnen Ihre mütterlichen Gefühle für L. B. durchgegangen?).

Während man Christoph Singelnstein sein Ringen um Fassung und seine Betroffenheit anmerkt, über die er leider nicht in der nötigen persönlichen Weise spricht oder sprechen kann, frage ich mich immer mehr, was Herr Greffrath in dieser Runde zu suchen hat und worin sein Interesse besteht: Es riecht nach Tribunal und moralischem Zeigefinger; und genau auf diesem Weg wird Lutz Bertram immer stärker in eine Verteidigungshaltung getrieben, die einer wirklichen Aufklärung über die tiefere Ursache seines Schuldigwerdens vollständig im Wege steht. In einer auf Verstehenwollen angelegten Atmosphäre hätte hier angesetzt und tiefer gegraben werden müssen. [...] Ich meine, es ist höchste Zeit, daß in der „Stasidebatte“ Arroganz, Verdrängung und Sündenbockjagd durch schonungslose Selbstbefragung aller Teilnehmer abgelöst werden, da sich sonst nichts weiter ereignen wird als die Geschichte von Tätern und Opfern mit umgekehrten Vorzeichen. Kerstin Werner, Berlin

Der Umgang mit IMs und hauptamtlichen Mitarbeitern der Staatssicherheit der DDR gestaltet sich, und dies speziell im Lande Brandenburg, immer schwieriger.

Die Herren Bertram und Kuttner erhalten ein Podium, das Menschen, die sich derartig schwer moralisch vergangen haben, nicht zusteht. Die Flucht nach vorn wird durch Teile der Bevölkerung fehlinterpretiert und gleichgesetzt mit einem Schuldbekenntnis. Doch das ist es auf keinen Fall. Beide verstehen es, in ihrer Eigenschaft als Journalisten und durch die von ihnen in ihren Sendungen immer wieder propagierte Ostalgie die jetzige Situation schamlos zu ihren Gunsten auszunutzen und sich hervorragend in Szene zu setzen. Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg macht bei diesem unwürdigen Spiel natürlich mit.

Aber auch in der brandenburgischen Politik sieht es nicht anders aus. Hier denkt die SPD (natürlich zusammen mit der PDS) laut über den Wegfall der Regelanfrage für den öffentlichen Dienst nach. Eine wiederholte Überprüfung der eigenen Landtagsabgeordneten will man ebenfalls vermeiden. Auch den Sozialdemokraten dürfte bekannt sein, daß die letzte Prüfung aufgrund mangelnder Aktenaufbereitung keine absolute Sicherheit bieten kann. Doch wie wäre mit einem erneuten Stasi-Fall umzugehen, sitzt doch Manfred Stolpe auf dem Ministerpräsidentenposten.

DDR-Bürgerrechtler verstehen die Welt schon lange nicht mehr, wird das Neuerkämpfte doch mit Füßen getreten und die Schwamm- drüber-Taktik angewandt. Viele zeigen jetzt, über fünf Jahre nach der Wende, ihre wahre Moral. Und die stinkt zum Himmel! Robert Bachmann